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Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)

Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Lowe
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geschnitzt war. Doch sie glaubte, dass er sich dessen nicht bewusst war. Sie erinnerte sich immer noch an den Moment, als ihr klar wurde, dass sie ihn liebte. Es war einer dieser diamanthellen Tage zwischen den Schneestürmen. Der Himmel war wie ein blassblauer Kristall, und der Schnee erstreckte sich unendlich weit und glitzerte in der Sonne. Sie war auf der Jagd gewesen und traf ihn in einiger Entfernung vom Lager. Er war eine einsame Gestalt in der sich drehenden Welt aus weiß und blau und starrte in den Himmel. Rowan war stehen geblieben und folgte seinem Blick. Dann sah sie den schwebenden Fleck – ein Schneefalke, der in der Thermik kreiste.
    Der Graf hatte ihn schon längere Zeit beobachtet. Er drehte schließlich seinen Kopf, sah direkt in Rowans Augen und lächelte. Das wirkte in seinem grimmigen Gesicht so selten wie Sonnenschein im Winter. » Dieser Falke verkörpert den Winter « , sagte er, » seine Helligkeit, seine Wildheit und seine Freiheit. Ich könnte ihm ewig zusehen. «
    So schnell ging das. Von einem Moment zum anderen, zwischen Schweigen und dem gesprochenen Wort hatte sie sich verliebt und erkannte, dass er ihre Liebe erwiderte. Doch bei aller Stärke und Intensität, trotz des Wunders und der Freude, hatte Rowan angenommen, dass es sich nur um eine Winterliebe handelte. Sie spendete Licht und Wärme in den Monaten des Schnees und der Dunkelheit. Dann würde sie sich mit dem einkehrenden Frühling auflösen. Doch als der Frühling kam und die Derai sich auf ihren Aufbruch vorbereiteten, fragte der Graf sie, ob sie mit ihm ginge.
    Sie spazierten zusammen durch die Wälder, die von feinem Grün überzogen wurden. Die ersten scheuen Blüten steckten die Köpfe durch die Schneewehen. Er stand dort ohne Kopfbedeckung unter den Birkenknospen, zog seine Lederhandschuhe durch seine Hände und bat sie, Heimat, Familie und ihr geliebtes Winterland zu verlassen. Er hatte ihr die Wahrheit über Derai-Burgen nicht verheimlicht und ihr auch den Wall und die ihn umgebenden Grauen Lande mit all ihrer Tristesse geschildert. Dennoch fragte er sie, ob sie mit ihm kommen und dort leben wollte.
    Und sie … sie stand dort inmitten ihrer eigenen Welt und sah hinauf zu den unendlichen Schichten des Himmels. Dabei fragte sie sich, was sie leichter ertragen konnte: fortzugehen oder seine Liebe zu verschmähen.
    Ihr Großonkel rief sie in seine rauchige, nach Kräutern duftende Schamanenhütte. » Der Winter hat sie hergebracht, Tochter des Birkenmonds « , sagte er zu ihr, » und das ist eine Schicksalsangelegenheit von dir und von ihnen. Wir haben uns lange nicht darum gekümmert, aber es ist an der Zeit, dass wir die Derai besser kennenlernen. Also musst du jetzt mit ihnen reiten, dich an den fremden Lord klammern und ihre Gebräuche lernen. « Er zögerte und warf ein Bündel Kräuter ins Feuer. Ihr kräftiger Geruch füllte die Hütte und stach Rowan in die Nase. Dann sprach er wieder. » Dein Tasarion, dieser Graf der Nacht … Der Rauch sagt mir, dass er der Schlüssel ist, um die Türen zu öffnen, die uns so lange verschlossen blieben. Das ist eine große Sache, obwohl ich nicht erkennen kann, wie sie ausgeht – ob gut oder schlecht. «
    Die Augen des Schamanen waren glasig. Er starrte in den wirbelnden Rauch, und seine Stimme nahm einen Singsang an. » Er ist nicht der Angekündigte, der durch Rauch und Sterne lang Gesuchte, doch er wird dich zu ihm bringen. Und wenn du unter den Derai wandelst, wird der Winter bei dir sein. Wenn die Zeit reif ist, wird der Winter deinem Ruf folgen. «
    » Aber wie werde ich wissen, wann der Winter gerufen werden muss? « , fragte sie.
    » Wenn die Zeit kommt, wirst du es wissen « , antwortete er.
    » Wenn die Zeit kommt, wirst du es wissen « , wiederholte Rowan Birkenmond, die jetzt wach in der Dunkelheit lag. Die Welt drehte sich, der Kreis ebenfalls – und sie, die trotz ihrer Liebe nur ungern zum Derai-Wall gekommen war, würde nun ebenso ungern wieder gehen. Nach allem, was geschehen war, könnte sie niemals leichten Herzens fortreiten und Tasarion an diesem tödlichen Ort alleine lassen. » Er wird mir schon befehlen müssen zu gehen « , sagte sie zu der Nacht und dem Sturm. » Ich sehe so deutlich wie jeder andere, dass dieser Moment schon bald kommen kann. Doch trotz allem werde ich bleiben, wenn ich kann. «
    Trotz allem. Die Worte hatten eine merkwürdige Endgültigkeit. Sie zitterte ein wenig unter der warmen Decke. Auf dem Weg zu den an die Ställe

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