Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)
angrenzenden Hundehütten hatte sie die Herolde getroffen, bevor sie in die Alte Burg aufbrachen. Die Herolde wollten wahrscheinlich nach ihren Pferden sehen, denn Rowan traf sie, als sie die Stufen zum Hof hinaufgingen, während sie herunterkam. Sie hatte angehalten, um die Herolde vorbeizulassen. Doch diese blieben ebenfalls stehen. Der dunkle Blick des Mannes hatte sich in ihre Augen gesenkt. Seine Stimme war tief und klar wie wilder Honig. » Was tut Ihr hier, Frau des Winters? Der Wall der Derai ist kein Platz für Euch. «
Sie hatte seinen Blick erwidert, so kühl wie der Winterhimmel. » Was geht das Euch an, Herold? Die Angelegenheiten des Winters haben nichts mit der Gilde zu tun. «
» Ich sage, was ich sehe « , antwortete er schlicht. Sein dunkler Blick ging in die Ferne und erinnerte sie an den des Schamanen, der in den Rauch schaute. » Ich sehe es nicht deutlich, doch dieser Ort wird Euch nichts Gutes bringen, Frau des Winters. Ihr solltet besser in Euer eigenes Land zurückkehren, solange Ihr noch könnt. «
Rowan hatte damals gezittert und zitterte jetzt wieder. Nur ein Narr diskutierte, wenn ein Schamane mit dieser Stimme sprach. Doch was hatte der Herold denn eigentlich gesagt, das sie nicht sofort gewusst hatte, als sie die grauen, brachen Lande gesehen hatte, die den Wall umgaben? Sie blieb, weil sie Tasarion, den Grafen der Nacht, liebte, und wegen der Bestimmung, die ihr Großonkel ihr auferlegt hatte, das war alles.
Rowan Birkenmond seufzte und berührte sanft Tasarions Gesicht. Doch er rührte sich nicht. » Er wird tun, was er tun muss, wie er es immer getan hat « , überlegte sie und fuhr mit ihrer Fingerspitze über seine Lippen. » Oder er wird es versuchen. Aber ich, was werde ich tun? «
Sie wandte sich ab und war sich ihres Überdrusses bewusst. » Schlaf « , murmelte sie. » Falls der Sturm es zulässt. Dann sieh, was der Morgen bringt. «
Aber es dauerte bis zum Morgengrauen, bis in der Ferne leise die Trompete vom Haupttor ertönte, bevor ihre Augenlider sich schlossen.
17 Im Auge des Sturms
Malian legte einen Zeigefinger auf den Tisch, der einst einer der größten Schätze der rotweißen Suite im Grafenquartier der Neuen Burg gewesen war. Eine Karte des Walls und aller bekannten Länder Haarths war in das Holz geschnitzt und mit wertvollen Metallen ausgelegt worden, um jedes hervorstechende Detail der einzelnen Länder zu betonen. Eine gewundene Goldader markierte den Strom, den mächtigen Ijir, mit seinen beiden großen Nebenflüssen und der Vielzahl reicher Stadtstaaten, die im Zuge des Handels entlang des Stroms gebaut worden waren. Jede Stadt wurde mit winzigen, exakten Nachbildungen von Türmen, Minaretten oder Kirchturmspitzen in den damals gültigen Wappenfarben dargestellt.
Malians dunkle, dünne Augenbrauen waren zusammengezogen. Sie sah nachdenklich aus und drehte langsam die Tischplatte. Der Wall und die ihn umgebenden Grauen Lande wichen den Kargen Hügeln, dann folgten der Strom und alle südlichen Länder. Eine Zinnlinie versinnbildlichte die tausenden Meilen der Straße von Ij bis zum berühmten Ishnapur. Dahinter befand sich die riesige, unbekannte Wüste; ein Meer aus Dünen in Jaspis, Topas und Bronze.
Es war alles so riesig. Sogar das Winterland, das als nah angesehen wurde, befand sich weit weg von der Burg der Winde. Dazwischen lagen die Berge des Walls sowie Meilen und abermals Meilen der Grauen Lande.
Malian seufzte tief und hielt die Tischplatte unter ihren Händen an. Die rotweiße Suite war reich möbliert und voll unterhaltsamer Dinge, doch sie war sich bewusst, dass die Suite ein Käfig war – wenn auch ein vergoldeter Käfig. » Gefangen « , murmelte sie, » bis mein Vater entscheidet, was mit mir geschehen soll. «
Es war jetzt schwer, an die Vorkommnisse in der Alten Burg zu glauben, obwohl ihre Flucht in die Finsternis nur vor einer Woche stattgefunden hatte. Kalan war natürlich zurück ins Tempelviertel geschickt worden. Die Herolde waren ebenfalls fort. Für sie hatte es vor drei Tagen einen offiziellen Abschied im Vorraum dieses Zimmers gegeben. Der Graf und die meisten Ratsmitglieder waren anwesend. Ihr Vater hatte die Herolde erneut als Gastfreunde der Nacht bezeichnet und ihnen den Friedenskuss gegeben. Doch Malian hatte die Erstarrung der Ratsmitglieder gesehen und wie die meisten vermieden, die Herolde direkt anzusehen – oder sie. Asantir und Sarus hatten anscheinend recht: Die Nachricht von den Ereignissen in der Alten
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