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Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman

Titel: Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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Todeskampf verlassen hatte. Es schien fast, als sei er am Ende ohne Schmerzen hinübergegangen. Wenzel stellte erstaunt fest, dass es ihn erleichterte.
    »Er ist tot«, sagte der Pater Generalis ohne große Überraschung in der Stimme.
    Wenzel nickte zum dritten Mal.
    Der Jesuitengeneral sah auf den Toten hinab. Er seufzte.
    »Ich bin schuld«, sagte er, »und dennoch, was hätte ich tun sollen? Wenn ich ihn damals den Soldaten und den Leuten aus dem Dorf überlassen hätte, hätten sie ihn entweder erschlagen wie den alten Einsiedler oder verbrannt wie die Unselige, die sie als Hexe angeklagt hatten. Ich fühlte mich verpflichtet, sein Leben zu retten. Wie viel Leid hat diese eine Tat ausgelöst, von der ich dachte, sie sei eine gute …«
    »Du konntest nicht anders handeln, Exzellenz«, sagte Wenzel. »Wenn wir stets wüssten, was unsere Taten auslösen …«
    »Es sieht aus, als hätte er seinen Frieden gefunden. Ich habe ihn so lange beobachtet; er war mir immer nahe, auch als ich in Rom durch die Ränge hindurch aufstieg. Aber ich habe ihn nie so entspannt gesehen.«
    »Im Tod lassen wir all unsere Sorgen hinter uns«, sagte Wenzel, aber er wusste, dass es nicht stimmte. Er hatte Tote gesehen, deren Gesichter verzerrt gewesen waren wie Fratzen. Pater Silvicolas Gesicht wirkte beinahe wie das eines Knaben. Der Schaum war zu roten Streifen getrocknet, die links und rechts seine Wangen bedeckten, doch es war der Zug um die Augen, der seinen Frieden verriet.
    »So viele Seelen verloren«, murmelte der Pater Generalis.
    »Und die eine oder andere gewonnen«, erwiderte Wenzel. »Denk an die Mutter Oberin in Würzburg, die sich bei dir selbst angezeigt und dich und deine Männer auf die Spur gesetzt hat, die euch hierherführte – gerade im richtigen Moment, wie ich bemerken möchte. Die ganzen Jahre über hat sie ihre Schuld mit sich getragen; nun ist sie durch ihr Geständnis erlöst.«
    »Sie wird den Rest ihres Lebens in selbst gewählter Isolation verbringen.«
    »Ihre Seele ist dennoch von der Schuld befreit.«
    »Ich werde einen Brief an Monsignore Chigi in Münster schreiben, dass er das Richtige getan hat. Wenn er sich damit zufriedengegeben hätte, dass Pater Nobili die Stadt verlassen hat, und nicht stattdessen nachgeforscht und schließlich die Mörder aufgetrieben hätte, dann wüssten wir ebenfalls nichts. Dass er uns geschrieben hat, hat uns erst gezeigt, dass wir nicht abwarten durften, bis Pater Silvicola von allein dem Rückruf folgte, sondern etwas unternehmen mussten.«
    »Ich lasse dich jetzt allein, Exzellenz«, sagte Wenzel. »Ich möchte zu meiner Familie. Wir müssen von einer großen Seele Abschied nehmen.«
    Der Pater Generalis nickte und schüttelte ihm die Hand. Wenzel verließ ihn. Statt durch das Seitenportal zum Friedhof hinauszutreten, marschierte er jedoch in den baufälligen Klosterbau hinein, zwängte sich an den Trümmern des Dachs vorbei und kletterte in das Kellergewölbe hinunter. Er hatte dort etwas vorbereitet.
    Als er wieder nach oben kam, hatte er die schwarze Kutte ausgezogen und trug ein Hemd, eine Jacke, einen Mantel, Hosen und Stiefel. Die Kleidung kam ihm so fremd vor, als hätte er zeit seines Lebens nichts anderes als den Klosterhabit getragen. Er musterte den Hut mit den Federn. Melchior würde er gefallen. Dann stülpte er sich ihn auf den Kopf, undseine Tonsur war verborgen. So angezogen, stapfte er auf die Öffnung zu, die zum Friedhof hinausführte. Er empfand eine Art poetischen Zirkelschlusses, hier, wo alles angefangen hatte, die schwarze Kutte zurückzulassen und selbst ein neues Leben zu beginnen. Die Brüder würden untröstlich sein, aber der Bruder Torhüter würde einen würdigen Nachfolger abgeben. Alles würde gut werden.
    Er trat hinaus. Helles Licht umfing ihn.

Epilog
    1648

1.
    Prag hatte sich ergeben. Prag öffnete sich dem Feind. Prag wurde geplündert.
    Drei Tage lang ließ General Königsmarck den Soldaten ihren Willen. Um die zweihundert Menschen kamen ums Leben. Es hätten leicht zweitausend sein können, zwanzigtausend. Tagelang fuhren die Wagen allein mit dem Anteil, den der General für sich beanspruchte, aus den Toren hinaus. Schmuck, Juwelen, Medaillen, Geld, ganze Bibliotheken, Statuen, Automaten, falsche Meerjungfrauen und echte Michelangelos, wertlose Spieluhren und unschätzbare Kleinode, Dokumente mit den Siegeln der ersten Kaiser des Heiligen Römischen Reichs und die Reliquien von Heiligen … alles wurde aus Prag

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