Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
urinieren war nun so stark, dass seine Zähne wehtaten, doch die Faszination des Schreckens hielt ihn gefangen. Sein Herz hatte erneut angefangen, heftig zu pochen. Ein abtrünniger Jesuit, über den der Ordensgeneral das Todesurteil gesprochen hatte? Es schien, als wären die Schatten im Zimmer auf einmal dunkler geworden. Die Jesuiten waren nicht beliebt; sie waren päpstlich loyal, intelligent, eine Bewegung, die weniger ihrer Frömmigkeit als ihrer geballten Intelligenz wegen mächtig geworden war. Wenn die Dominikaner als die Bluthunde des Papstes galten und als solche verhasst waren, dann wurden die Jesuiten als Schlangen angesehen: elegant, schlau, tödlich. Eine Erinnerung streifte Fabios Gedanken. In Rom hatte er einmal ein Rätsel erzählen gehört: Ein Schiff mit einem Franziskaner, einem Benediktiner und einem Jesuiten an Bord ging unter, und während die drei Ordensmänner um ihr Leben schwammen, kamen Haie und fraßen den Franziskaner und den Benediktiner auf. Der Jesuit aber wurde von den Haien verschont. Warum? Der Rätselerzähler hatte dröhnend gelacht. Respekt unter Kollegen! , hatte er dann gebrüllt.
Niemand hielt die Gefolgsmänner des Ignatius von Loyola für Heilige; doch zu hören, dass sich einer von ihnen auf Abwegen befand, war nicht anders, als zu erfahren, dass erneut ein Engel gegen Gott den Herrn aufgestanden war.
»Wissen Sie, was der Teufel Adam und Eva anbot, um sie zu verführen?«, fragte Pater Nobili.
»Die Frucht vom Baum der Erkenntnis.«
»Wissen«, sagte der Jesuit. »Nichts anderes als das: Wissen um die Zusammenhänge, die Gott nicht für uns Menschen vorgesehen hat. Man könnte auch sagen: das Wissen des Teufels.«
»Und Ihr Abtrünniger …?«
»Ist hinter diesem Wissen her.«
»Er sucht den Baum der Erkenntnis? Und der soll ausgerechnet in Würzburg stehen?«
»Der Baum der Erkenntnis«, erklärte Pater Nobili kühl, »ist ein Symbol. Wo wird Wissen in der Regel festgehalten, Monsignore?«
»In Büchern …«
»Der Abtrünnige sucht das gefährlichste Buch der Welt. Das Buch, in dem Luzifer all das festgehalten hat, was Gott uns Menschen niemals zumuten wollte. Es ist das Testament des Bösen, sein Vermächtnis …«
»Die Bibel des Teufels«, sagte Fabio und glaubte aus dem Augenwinkel zu sehen, dass die Schatten zuckten.
»Sie wissen davon?«
»Ich weiß wovon?« Die Schatten schienen immer noch zu zucken, als atmeten sie und blähten sich dem Klang der Wörter entgegen: die Bibel des Teufels …
»Von der Teufelsbibel!«
»Es gibt dieses Buch wirklich?«
Pater Nobili schien diese Frage keiner Antwort für würdig zu befinden.
»Was will ein abtrünniger Jesuit damit anfangen?«
»Sehen Sie sich um, Monsignore. Sie sind seit vier Jahren hier.«
»Vernichtung? Tod? Ein Krieg, der niemals aufhört? Mir scheint, die Menschen brauchen den Teufel nicht, um das fertigzubringen.«
»Monsignore, Sie verkennen die Lage, fürchte ich. Der Krieg steht vor seinem endgültigen Ende. Die Verhandlungenhier sind eine Chance für den Frieden. Sie, Monsignore, sind ein Teil der Hoffnung, dass es diesen Frieden geben möge.«
»Du meine Güte«, sagte Fabio. »Das kann nur jemand sagen, der nicht Tag für Tag in diesem Irrsinn gefangen ist.«
»Das ist vollkommen egal. Die Hoffnung besteht. Und wenn es eines gibt, was der Teufel noch mehr fürchtet als den festen Glauben an Gott, dann ist es die Hoffnung. Wissen Sie, was die Hölle ist, Monsignore? Es sind nicht Teufel, die die armen Seelen in heißem Öl kochen oder sie bei lebendigem Leib auffressen. Es ist die absolute Dunkelheit, wenn alle Hoffnung vergebens ist.«
»Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate!« , sagte Fabio und starrte direkt in die Schatten hinein. Er hatte das Gefühl, dass sie nach ihm griffen, wenn er ihnen den Rücken zuwandte.
Pater Nobili nickte.
»Vielleicht will Ihr Ordensbruder ja versuchen, mithilfe der Teufelsbibel den Krieg endgültig zu beenden? Wissen kann man in zwei Richtungen einsetzen.«
»Die Teufelsbibel dient nur dazu, das Böse in die Welt zu holen.«
»Wie heißt der Mann?«
Pater Nobili holte lang und tief Atem und kniff dann die Lippen zusammen.
»Na, kommen Sie schon. Wie soll ich denn …?«
»Silvicola. Giuffrido Silvicola.«
Fabio schüttelte den Kopf. Er tat einen Schritt auf seinen Arbeitstisch zu. Der Schmerz fuhr ihm wie eine Messerklinge in den Leib – er hatte tatsächlich ein paar Augenblicke vergessen, dass seine Blase zu platzen drohte. Ächzend
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