Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
fischte er nach einem Bogen Papier. »Ich schreibe Ihnen eine Empfehlung für Bischof Johann Philipp von Schönborn aus«, sagte er und begann hastig zu kritzeln. »Er ist der Bischof von Würzburg und hat eine ständige Delegation hier in Münster, diesich in die Verhandlungen einmischt. Wärmen Sie schon mal das Siegellack auf, Pater … Hmmm … der Bischof und ich sind nicht die besten Freunde, weil er meines Erachtens zu schnell zu Kompromissen gegenüber den Schweden bereit ist, aber gerade das macht ihn für diese Situation zu einem idealen Verbündeten …« Ein erneuter Stich schoss durch Fabios Leib, und er wusste, dass er nur noch wenige Augenblicke hatte, um entweder den Abtritt zu erreichen oder hier in seine Soutane zu pissen. »Die Sicherung des Friedens geht ihm über alles. Er wird nicht zulassen, dass er gefährdet wird, noch nicht einmal durch den Teufel persönlich.«
Fabio presste sein Siegel mit zitternder Hand in den Klecks Siegellack, den Pater Nobili auf das Papier hatte tropfen lassen. Seine Augen tränten.
»Warten Sie unter allen Umständen hier auf mich!«, stöhnte er und humpelte hinaus, jeder Schritt eine Folter. »Sie brauchen Geleit. Ich muss das noch organisieren …und ich muss Ihnen noch eine persönliche Nachricht für Bischof Johann …«
Er rannte die Treppe hinunter. Jede Stufe quetschte einen Tropfen Urin aus ihm heraus. Er ächzte. Auf den letzten Schritten zum Abtritt brach ihm der Schweiß aus. Wenn die Tür klemmte … oder wenn jemand auf dem Abort saß … die Tür ging auf, dem Herrn war Dank! Er fegte den Deckel auf dem Loch beiseite, zerrte die Soutane hoch, hörte ein paar Knöpfe abspringen … dann konnte er sich endlich gehen lassen. Er hätte beinahe geschrien, so heiß brannte sich der Strahl aus ihm hinaus. Die Kälte hatte die Gerüche unterdrückt. Sein warmer Urin löste sie wieder und ließ sie aufsteigen, aber Fabio hatte das Gefühl, noch nie an einem schöneren Ort gewesen zu sein. Seine Blase schien mehr Inhalt zu haben als ein ganzes Fass. Er hörte über das Plätschern, wie die Eingangstür seines Hauses zuschlug, dann das Wiehern eines Pferdes, dessen Besitzer sich schnell in den Sattel schwingt.
»Warten Sie, Pater Nobili!«, brüllte er und verschluckte sich. Der beißende Geruch ließ ihn husten. »Warten Sie doch, Herrgott noch mal!«
Das Plätschern wollte nicht aufhören. Fabio versuchte, den Strahl abzudrücken, aber der Schmerz war so brennend, dass er es sein ließ. Draußen entfernte sich rasches Hufgetrappel über das Pflaster.
»Idiot«, murmelte er. Er hörte förmlich, wie der Delegationsleiter des Würzburger Bischofs fragen würde, ob es noch eine zusätzliche Note von Monsignore Chigi gäbe, und wie Pater Nobili sagen würde: »Nein, ich bin so schnell ich konnte aufgebrochen, Monsignore waren indisponiert«; und wie der Delegationsleiter grinsen und mit besonderer Betonung fragen würde, ob Monsignore sich wieder einmal mitten im Gespräch verpisst hätte … Der Gedanke löste statt Scham ein hysterisches Kichern in Fabio aus, und über das Kichern war ihm, als höre er ein langsames Pochen wie das eines schwarzen, bösen Herzens, und die Schatten in der kleinen, stinkigen Kammer des Abtritts zuckten und atmeten.
6.
Der Regen vermischte sich mit Schnee, noch während Pater Nobili sich fragte, ob er wirklich der Gasse folgte, die der Helfer des päpstlichen Nuntius ihm gewiesen hatte. In der Dunkelheit sahen sogar in Rom alle Straßen gleich aus, aber hier wurde die Orientierung noch dadurch erschwert, dass alle Häuser und die meisten Straßenecken unbeleuchtet waren und der Schneefall so dicht war, dass er einem Vorhang glich, der einem vor die Augen gewedelt wurde. Weiter vorn sah er zwei Männer mit geschulterten Partisanen und Helmen auf den Köpfen, die sich an einer unangezündetenLaterne zu schaffen machten. Er trieb sein Pferd voran. Die Männer blickten auf.
»Kennen die Herren den Weg zur Delegation des Bischofs von Würzburg?«, probierte er es auf Latein.
Die Männer sahen sich an.
»La délégation de l’évêque de Wuerzburg?« , versuchte er es von Neuem.
Die Männer wechselten einen zweiten Blick. Einer von ihnen nahm die Partisane von der Schulter und rammte sie Pater Nobili in den Leib. Der Jesuit war zu überrascht, um Schmerz zu spüren, noch nicht einmal, als die Klinge mit den schlanken Flügeln sich in seinen Eingeweiden halb herumdrehte. Plötzlich fand er sich auf dem Boden wieder, atemlos.
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