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Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman

Titel: Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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der Alte bestünde aus Dreck und Abfall? Die dritte Komponente war Bösartigkeit, und sie war der Kitt, der den Rest zusammenhielt.
    »Irgendwann kam es jemandem doch zu lange vor, und er guckte nach. Die Hebamme und die Alte des Richters lagen auf dem Boden, Beulen und Platzwunden auf den Stirnen.Anna muss mit einem großen Kerzenleuchter auf die Weiber eingedroschen haben – es klebten noch Blut und Haare dran. Das Fenster war offen. Anna Morgin war abgehauen.«
    »Sie suchte bei dem Einsiedler draußen im Wald, der vor ein paar Tagen aufgetaucht und sich in der Stadt bemerkbar gemacht hatte, Asyl«, sagte Cyprian.
    »Du nimmst mir beinahe das Ende der Geschichte weg«, sagte der Alte und grinste.
    Annas Spur war leicht zu folgen. Der Einsiedler, zu dem sie geflohen war, ließ sich von dem Glauben in die Irre leiten, dass sein Anspruch auf Asylgewährung irgendetwas bedeutete. Nach einem kurzen Meinungsaustausch lag der Einsiedler auf dem Boden, und seine Seele war auf dem Weg in eine bessere Welt.
    Andrej beugte sich nach vorn; Cyprian winkte ab. Andrej schloss seinen Mund wieder.
    »Die haben Anna nach Eger zurückgebracht und ins Stüblein geworfen – ins Gefängnis. Als man sie am nächsten Tag in den Gerichtssaal bringt, damit sie ihr Geständnis unterschreibt, reißt sie einem der Büttel plötzlich das Messer aus dem Gürtel und sticht es sich in den Hals!«
    Die Tat erfolgte so überraschend, dass alle in völlige Panik verfielen. Schließlich kam der Henker zur Besinnung und stach die offenbar leblose Anna mit einer Nadel unter Finger- und Zehennägel, ohne dass sie auch nur gezuckt hätte. Der Arzt, der endlich herbeigerufen worden war, stellte ihren Tod fest. Die Ratsherren beschlossen, mit der Leiche so zu verfahren, wie sie es mit der lebenden Hexe vorgehabt hatten. Der Henker und seine Knechte warfen die Tote ganz unzeremoniell aus dem Fenster im zweiten Stock des Rathauses, banden ihren Leib an ein Eselsgespann und schleiften ihn hinaus auf den Richtplatz.
    »Sie legten sie auf den Scheiterhaufen, mitten auf dieschweren Holzklötze, die die meiste Hitze abgeben, und zündeten den Stoß an …«
    »Und?«, fragte Cyprian, als der Alte schwieg.
    Andrej musterte das unter Haar- und Bartwirrwarr halb versteckte Gesicht des alten Mannes. War es bleich geworden? Seine Augen starrten jetzt weit aufgerissen zu einem Ort, an dem nicht gewesen zu sein Andrej sich glücklich schätzte – zur Richtstätte außerhalb der Mauern Egers, während Anna Morgins Scheiterhaufen brannte. Die Lippen des Alten arbeiteten.
    »Ihr Haar begann zu brennen …«, sagte er. »In all der Aufregung hatte keiner daran gedacht, es abzuscheren. Es brannte … lichterloh …«
    Und Anna bäumte sich plötzlich auf. Begann vor Schmerzen zu schreien. Wand sich im Feuer. Die Zuschauer wichen zurück. Wer in der Stadt nichts anderes zu tun hatte, war gekommen, um der Verbrennung eines toten Körpers zuzusehen, den viele von ihnen noch gekostet hatten, als er voller Leben gewesen war; jetzt sahen sie, wie die Tote schrie und kreischte und sich in den Flammen wälzte …
    »Sie fiel runter«, flüsterte der Alte. »Sie fiel auf den Boden, und da lag sie … qualmend … stocksteif …«
    Nach einer Weile wagte sich der Scharfrichter an den versengten Leib heran, das Kruzifix vor sich ausgestreckt und Psalmen flüsternd. Er stieß Anna mit einem Stock und dann mit dem Fuß an. Schließlich ließ er das Kruzifix und seine hochgezogenen Schultern sinken und befahl seinen Knechten, dass der Leichnam an Händen und Füßen gebunden und wieder hinaufgezogen werden sollte. Sie schichteten Holz über ihn und fachten das Feuer aufs Neue an; dann stellten sie sich vor dem Scheiterhaufen auf und drückten das Holz und den Leichnam darunter mit langen Feuerhaken fest.
    »O Gott«, hörte Andrej sich sagen. »Wie erbärmlich kann man …?«
    Der Alte achtete nicht auf ihn. Seine Hand machte vage Bewegungen in der Luft, als putze er eine beschlagene Glasscheibe sauber, durch die er in die Vergangenheit spähte.
    »Jesus Maria!«, flüsterte er. »Jesus Maria!« Und mit jedem Jesus Maria wurde seine Stimme lauter. »Jesus Maria! Jesus Maria! JESUS MARIA!« Er brüllte, den Blick hilflos an den Ort des Grauens gerichtet, zu dem die Richtstätte Anna Morgins geworden war. »JESUS MARIA! Das schrie sie, unter dem Holz hervor und aus den Flammen heraus. Man konnte sie deutlich hören. Sie zappelte und wand sich und bäumte sich auf. Die Knechte des

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