Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
NICHT ruhig warten. Die Zeit verstrich, und sie beobachtete die Tür, wartete auf das Ergebnis ihrer List. Es vergingen fünfundvierzig Minuten, bevor Oliver hereinkam, immer noch nass, aber im Besitz eines der Handtücher, um das Jane für ihn gebeten hatte.
„Jane.“ Seine Stimme klang rau.
Er fuhr sich mit den Händen durchs nasse Haar, sodass es in rotbraunen Zacken abstand.
Sie hob das Kinn, sah ihm in die Augen. Es gab keine Lampe im Zimmer, nur das Kaminfeuer. Im gedämpften Flackern der Flamme wirkten seine Augen dunkel und gefährlich.
„Was soll das?“, fragte er unwirsch.
„Du hast mir gesagt, ich solle dem Wirt irgendeine Geschichte erzählen“, antwortete sie, und es gelang ihr, mit ruhiger Stimme zu sprechen, auch wenn ihr Herz doppelt so schnell schlug wie sonst. „Genau das habe ich getan.“
„Eine Geschichte, die erklärt, warum du völlig durchweicht und ganz allein hier eintriffst, nicht eine darüber, dass … dass …“
„Dass mein Liebhaber, der Sohn eines Herzogs, kurz nach mir kommen wird?“ Jane hob eine Augenbraue. „Dass wir ein gemeinsames Zimmer wollen?“
Er warf das Handtuch über einen Stuhl und trat zu ihr.
„Ja“, erwiderte er, „ich begehre dich. Ja, ich habe in den letzten Monaten immer wieder daran denken müssen, wie ich dich nehme. Ja, dort draußen habe ich den Kopf verloren, Jane. Aber ich erwarte nicht, dass du für meine Hilfe mit deinem Körper bezahlst.“
Sie stand auf. Sie hatte ihr durchnässtes Kleid gegen ein warmes Hemd und einen bestickten Morgenrock getauscht. Sie konnte das Blut in ihren Ohren rauschen hören.
„Ist es das, was du denkst? Dass ich mich dir als Zahlung für geleistete Dienste anbiete? Mach dich nicht lächerlich, Oliver.“ Sie machte einen Schritt auf ihn zu. „Denkst du, dass du der Einzige bist, der sich in diesen letzten Monaten vor Verlangen verzehrt hat? Der Einzige, der wach liegt, an die Decke starrt und sich mehr wünscht? Sieh mich an. Ich bin kein Opfer.“
Ihr Herz pochte heftig, aber sie hob die Hand und öffnete den Gürtel des Morgenrocks. Er verfolgte mit hungrigem Blick, wie der Seidenstreifen fiel.
„Sieh mich an“, wiederholte Jane. Sie streifte sich den Rock von den Schultern – sie bekam kaum noch Luft – und ließ ihn zu Boden fallen. Ihre Haut kribbelte in der plötzlichen Kühle, aber was sie spürte, war nicht die Kälte. „Ich bin kein Geschenk“, erklärte sie. „Oder ein Preis, den du gewonnen hast. Ich bin eine Frau, und ich will dich, weil es mir Freude machen wird.“
Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß. Sie wusste, wie durchsichtig ihr Hemd war – hauchfein, sodass er ihre Umrisse wegen des Feuers hinter ihr deutlich erkennen musste.
Er befeuchtete sich die Lippen. „Ich war fest entschlossen, ein Gentleman zu sein. Auf dem Boden zu schlafen, oder … oder irgendwas.“
„Ist es das, was ein Gentleman tun würde?“, wollte Jane wissen.
„Wahrscheinlich.“
„Dann ist ein Gentleman ein Idiot.“
Er lachte. „Jane. Himmel. Du bist die mutigste Frau, die ich kenne.“
Sie trat näher zu ihm. „Hierbei muss ich doch nicht mutig sein.“ Noch einen Schritt und sie war dicht genug bei ihm, um ihm die Hände auf die Brust zu legen.
„Weißt du, was dich erwartet?“
„Nur sehr vage. Was genau passieren wird …“ Sie streckte eine Hand aus und fasste ganz sacht seine Krawatte. „Was genau passieren wird“, wiederholte sie, „kann ich kaum erwarten herauszufinden.“
„Dann finde es heraus.“
Sie öffnete den Knoten seiner Krawatte und nahm sie ihm ab.
„Siehst du?“ Sie schaute auf. „Das zum Beispiel wusste ich nicht – wie dein Hals aussieht.“ Sie beugte sich vor und hauchte einen Kuss auf seine Kehle. Die nassen Kragenspitzen seines Hemdes streiften ihre Wangen.
„Jane. Du bringst mich um.“
Sie hatte nicht verstanden, was sie tun sollte, bis sie seine Stimme hörte – so rau, das eindeutig klar wurde, dass er am Rande seiner Selbstbeherrschung angekommen war. Das hier, das war es, was sie wollte. Ihn mit jeder Berührung ihrer Fingerspitzen umbringen und dass er es liebte.
Sie schob den Kragen seines noch feuchten Rockes zurück. Mit einer Bewegung seiner Schultern befreite er sich davon und überließ ihn ihr.
Sie hatte schon vorher Männer in Hemdsärmeln gesehen, aber nie so. Nicht mit vom Regen praktisch durchsichtigem Stoff, der an ihrer Brust klebte und unter dem sich die Muskeln seiner Oberarme deutlich abzeichneten.
Sie öffnete die
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