Die Erbin
»Wissen Sie, was ich morgen Ihrer Frau sagen werden, wenn sie aufwacht und Sie sind weg, in Kapstadt? ›Suchen Sie sich auch einen Sport, wo es um Kopf und Kragen geht! Klettern Sie senkrechte Felswände hoch, möglichst vereiste, oder lernen Sie Kunstfliegen. Mal sehen, wer klein beigibt!‹«
»Um Himmels willen, Doktor, sagen Sie das nicht! Sie kennen Lyda nicht. Sie tut es wirklich.«
»Genauso, wie Sie in den Rennwagen klettern. Es steht dann eins zu eins! Da muß doch Ihr Sportlerherz jubeln! Unentschieden. Da ist doch noch was drin! Auf zur nächsten Runde! Das ist Fairplay!« Dr. Vennebosch warf das Handtuch über eine Sessellehne und streifte die Hemdsärmel herunter, die er zur Behandlung aufgekrempelt hatte.
»Wo kann ich hier schlafen? Ich möchte in der Nähe bleiben, falls es Komplikationen gibt. Ist das Fremdenzimmer noch eingerichtet?«
»Aber ja! Sie kennen das Haus?«
»Ich kenne hier alle Häuser. Das hier gehört dem Architekten Jack Hyder. Ein Freund von Ihnen?«
»Ja.«
»Das ist schon die zweite Tablettenfresserei in diesem Haus! Vor einem Jahr, fast genau auf den Tag, rief mich Jack Hyder um Hilfe. Ein langbeiniges Wesen. Fotomodell. Er hatte ihr beim Gläschen Wein gesagt, daß dies der letzte gemeinsame Abend gewesen sei.« Dr. Vennebosch nickte zum Schlafzimmer. »Dieses Doppelbett scheint's in sich zu haben!«
Die Nacht wurde ruhig. Lyda schlief fest, manchmal rasselte ihr Atem, aber Dr. Vennebosch, der sofort von Marcel alarmiert wurde, sagte beim fünftenmal ungeduldig: »Wenn Sie mich noch mal wecken, haue ich Ihnen zehn Kubik Schlaf in den Hintern! Dann können Sie als Nachtwandler Rennen fahren!«
Marcel blieb noch lange wach, lag neben Lyda und sah sie an. Ich liebe sie, dachte er. Ihr zuliebe würde ich sogar das Rennfahren aufgeben … Nur diese Saison muß ich noch durchhalten, Lyda, nur noch drei Rennen. Das können wir doch durchstehen. Ich verspreche dir, dann höre ich auf! Wir werden bescheiden leben müssen – bescheiden, gemessen an dem Leben, das du bisher geführt hast. Aber wir werden genug haben. Und wir werden glücklich sein …
Er beugte sich über sie, küßte sie auf den kalten Mund und schlief bald darauf ein.
Vom Flughafen ließ sich Jérome Marcel zur Rennstrecke fahren. Der Taxifahrer erkannte ihn und bat um ein Autogramm. »Der neue Rennkurs ist Klasse«, sagte er. »Nach den modernsten Erkenntnissen gebaut. Da können Sie auf den Geraden aufdrehen, sage ich Ihnen. Bin verdammt gespannt, wie hoch der Rundenrekord liegt.«
Marcel nickte. Er dachte an die Worte von Dr. Vennebosch und seine Anklage gegen die Sucht, die Leistung immer höher zu peitschen. »Sie haben Interesse an Rekorden?«
»Interesse?« Der Taxifahrer lachte. »Das ist doch unser einziges Vergnügen nach Feierabend. Ich lese den Sportteil von A bis Z. Ist schon toll, was die Jungs so alles leisten. Gewichtheben über 400 Kilo! Hundertmeterlauf unter 10 Sekunden. Weitsprung, Hochsprung, Kugelstoßen, Diskus … da purzeln die Rekorde nur so. Von Kampf zu Kampf. Wer hätte gedacht, daß so etwas möglich ist?«
»Und das freut Sie?«
»Und wie!« Der Taxifahrer blickte schnell zur Seite auf Marcel. Er begriff die Frage nicht ganz. »Wundert Sie das?«
»Nein. Viele denken so, was?«
»Hunderttausende! Was sage ich – Millionen!« Der Fahrer lachte unsicher. »Aber das wissen Sie doch. Zum Beispiel ich. Ich bin jetzt ausgesprochen glücklich, Jérome Marcel fahren zu dürfen. Wenn ich das nachher meinen beiden Jungen erzähle, was meinen Sie, wie die mich beneiden! Morgen weiß es die ganze Schule: Der Vater von Bill und Jeff hat den berühmten Marcel im Auto gehabt.«
»Danke«, sagte Marcel in sich gekehrt. Er dachte an Lydas Tränen, an ihren Selbstmordversuch, an ihre panische Angst vor den Rennautos, an ihr Flehen: Ich knie vor dir nieder … fahr keine Rennen mehr … »Sie haben mir sehr geholfen.«
»Ich – Ihnen?«
»Ja.« Marcel lehnte sich in die Polster zurück. »Geben Sie mir Ihren Namen. Ich schicke Ihnen für die ganze Familie Freikarten.«
Im Fahrerlager traf Marcel nur Philipp Bearns an, den Rennleiter seines Stalls. Er überwachte die Endmontage der Wagen, die erst vor ein paar Stunden ausgeladen worden waren. Von den Rennfahrerkollegen war noch niemand an der Strecke; sie saßen noch im besten Kapstadter Hotel auf den Terrassen und sonnten sich oder besichtigten die Weinkellereien von Stellenbosch. Aber an allen Boxen wimmelte es von Monteuren,
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