Die Erbin
Probefänge mache, um neue Fischsorten in Deutschland einzuführen, da Hering, Barsch und Schellfisch immer knapper wurden.
Lobow wählte die Funktelegramme aus, die er nach Moskau weiterleiten würde. Rußlands Augen waren überall. Sie sahen alles.
Aber nicht nur Rußland legte sein Ohr an den Puls der Welt.
Lyda war kaum drei Tage zurück in Paris, wo sie sich in Lobows Dachwohnung mit russischem Essen und leidenschaftlicher Liebe verwöhnen ließ, als im gleichen Haus, eine Etage tiefer, ein junger Musiker einzog. Er stellte sich Lobow als Nachbar vor und fragte, ob es ihn stören werde, wenn er übe. Er sei Musikstudent und müsse jeden Tag proben. Natürlich nur zu angemessenen Zeiten, nicht frühmorgens oder mittags und nicht nach 19 Uhr.
»Welches Instrument spielen Sie?« fragte Lobow freundlich.
»Baßgeige.« Der junge Mann verzog sein Gesicht. »Ich weiß, was Sie jetzt denken. Stundenlang nur sumbum … sumbum … rumbum … bumbum … Das ist meine neunte Wohnung. Die Nachbarn …«
Lobow lachte schallend. »Ich bin musikalisch, Monsieur …«
»Gerald Dumont.«
»Monsieur Dumont. Wir können zusammen spielen, wenn es Ihnen Spaß macht. Ich spiele Balalaika.«
»Fantastisch! Das klingt vorzüglich zusammen: Balalaika und Baß! Ich danke Ihnen, Monsieur!«
Der junge Mann sprang vergnügt die Treppen hinunter und pfiff ein Lied dabei. Lobow fand ihn auf Anhieb sehr sympathisch. Verliebte verlieren leicht den klaren Blick.
Der amerikanische CIA hatte sich einquartiert.
Erst zwei Jahre später erkannte man in Moskau, daß Lobow die Grundregel aller Agenten grob verletzt hatte: Traue keinem, schließe keine Freundschaften, betrachte jeden anderen Menschen grundsätzlich erst einmal als deinen Gegner! Aber als auch Lobow das merkte, war es viel zu spät. So spät, daß nicht einmal Oberst Pujatkin es für angebracht hielt, ihn zu tadeln oder einen strengen Verweis auszusprechen, der in seine Papiere eingetragen werden mußte. Es hatte keinen Sinn mehr, ausgebrütete Eier für frisch gelegte zu halten …
Hier in Paris jedenfalls entwickelte sich zwischen dem jungen Musiker Gerald Dumont und dem Russen Boris J. Lobow eine erfreuliche Freundschaft. Gerald kam an den Wochenenden zu Boris hinauf, seine Baßgeige über der Schulter, und dann spielten sie Jazz und Blues, New Orleans und Hillbilly, manchmal auch ernste Musik: Sonaten, die Gerald für Baßgeige und Balalaika umschrieb. Das klang zwar ungewohnt, aber erstaunlich gut, zumal sich Boris als vorzüglicher Balalaika-Spieler erwies, vor allem, wenn er russische Lieder spielte, zu denen Gerald nur die Begleitung zupfte. Dann wurde sein Vortrag ein künstlerischer Genuß.
Ab und zu saß auch Lyda dabei, die Lobow als eine Frau Françoise Lebrun vorstellte. Gerald Dumont begrüßte sie jedesmal, wenn er kam oder wenn Lobow mit ihr hinunter in Dumonts Wohnung stieg, mit einem galanten Handkuß. »Sie erinnern mich an jemanden …«, sagte er einmal nachdenklich. »Ich weiß nicht, an wen. Aber ich komme noch drauf. Sie haben große Ähnlichkeit mit einer bekannten Frau … Na, wie heißt sie doch noch mal …?«
Von da an frisierte sich Lyda um, wenn sie zu Lobow schlich, wählte ein anderes Make-up und veränderte dadurch ihr Aussehen, so gut sie konnte. Gerald sprach auch nicht mehr von der Ähnlichkeit. Dann folgte die lange Zeit, in der Lyda zwischen Monte Carlo, London, New York und Athen hin und her pendeln mußte, weil wegen der Ölkrise eine Konferenz die andere jagte. Eines ihrer Tankschiffe, ein Riese von über 300.000 Tonnen, zerbrach bei einem Sturm vor der arabischen Piratenküste und spuckte einen riesigen Ölteppich ins Meer, der auf das Emirat Oman zutrieb und die bisher so blitzsaubere Küste auf Jahrzehnte unbewohnbar machen konnte. Hinzu kam ein neuer Streit mit der Witwe Nany, die sich weigerte, ihren Anteil an der Insel Sapharin an Lyda zu verkaufen, obwohl der Kaufpreis maßlos überhöht war.
Lobow saß allein in Paris, kontrollierte seine Agenten auf den Sowjetschiffen, war mißgelaunt und sehnte sich ehrlich nach Lyda. Nach ihren großen, dunklen Augen, nach ihrem biegsamen, molligen Körper, nach ihren seufzenden Küssen. Er wunderte sich selbst über diese Wandlung und sprach darüber mit Pujatkin, seinem ›Vaterersatz‹.
Pujatkin war entsetzt. »Boris Jegorowitsch!« rief er beschwörend ins Telefon. »Ich habe geglaubt, das sei alles nur eine Laune, was Sie mir damals aus Rio berichteten. Palmen, das Meer, schöne
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