Die Erbsünde
Professor Snymans mit eiskalter Höflichkeit vorgebrachte Kritik gefallen lassen. Aber jetzt passte er gut auf, als der Professor die Nadel durch das Gewebe führte und die Segmente verband. Snyman arbeitete mit müheloser Geschwindigkeit, und Deon hob das Gewebe mit dem Haken an und hielt es ihm hin, und schon kam wieder die gebogene Nadel, fuhr hinein, hinaus; die behenden Stummelfinger in den hautengen Handschuhen bewegten sich mit vollkommener Präzision. Deon fiel in den Rhythmus ein und arbeitete schneller und auch sicherer als je zuvor. Es war, als spiele er ein Duett mit einem Virtuosen; die Bewegungen der beiden waren in harmonischem Wechselspiel aufeinander abgestimmt.
Snyman begann jetzt mit der hinteren Schicht und sagte zu Bennett: »Machen Sie drüben weiter, Doktor?«
Im Saal herrschte lähmende Stille. Bennett nahm den Haken zur Hand, und sofort war der Rhythmus gestört. Er fummelte unbeholfen herum, so daß Snyman wiederholt auf ihn warten mußte. Bennett wußte, daß er stümperhaft arbeitete, und das machte ihn noch ungeschickter. Snyman tat, als merke er nichts, aber Deon sah mitleidlos und mit unverhohlener Verachtung zu, nun, da er selbst der Perfektion so nahe gewesen war.
Snyman beugte sich über seine Arbeit und betrachtete sie kritisch. Deon sah auf seinen runden Kopf nieder, graue Haarbüschel lugten unter seiner Kappe hervor. Du bist ein eingebildeter alter Widerling, dachte er mit einer gewissen Zuneigung. Deine Untergebenen fürchten dich, und deinesgleichen hassen dich, und zwar aus gutem Grund, denn du bist engstirnig und egozentrisch. Aber eines muß man dir lassen: Du bist ein großartiger Chirurg.
»Bitte machen Sie ihn zu«, sagte Snyman und trat vom Operationstisch zurück. Er lächelte jeden von ihnen schlicht an, ließ sich von der Hilfsschwester den Mantel abnehmen und sagte: »Danke Ihnen, meine Herren.« Dann ging er mit kurzen, schnellen Schritten hinaus.
Deon und Bennett schlossen die Wunde in völligem Schweigen. Sie verließen zusammen den Operationssaal und legten vor dem Waschraum ihre Masken und Kappen ab. Bennett ging weiter zum Umkleideraum, und Deon warf einen schnellen Blick in den anderen Operationssaal. Er war leer. Bill du Toit war also mit seiner Blinddarmoperation fertig. Nicht wie Bennett, der hätte stundenlang damit herumgetrödelt.
Der arme Teufel, dachte er. Das heute wird er nie vergessen. Und das ist auch gut so, denn er ist kein Mann fürs Skalpell. Er soll lieber etwas machen, wobei er keinen Schaden anrichten kann.
Wir haben prima zusammengearbeitet, der alte Herr und ich, sann Deon weiter. Seine Gedanken sind seinen Händen immer um einen Sprung voraus. Deon versuchte, die prickelnde Spannung der wenigen Minuten noch einmal zu durchleben, als ihre Hände in vollendetem Einklang miteinander gearbeitet hatten.
Plötzlich hatte er einen Bärenhunger. Er sah auf seine Uhr. Halb zwei. Er hatte kaum bemerkt, wie die Zeit vergangen war. Im Gemeinschaftsraum gab es sicher noch Kaffee und ein paar belegte Brote.
Professor Snyman lag ausgestreckt in einem Sessel am Fenster. Er kaute lustlos an einem mit Huhn belegten Brot und starrte in die Dunkelheit. Eine halbvolle Tasse Kaffee stand neben ihm auf dem Fußboden. Als Deon eintrat, sah er auf und nickte, aber keiner von beiden sprach. Deon goss sich Kaffee ein. Seine Hände zitterten, als er die Tasse aufnahm, und er setzte sie hastig ab. Dann hob er die heiße Tasse mit beiden Händen an den Mund und trank vorsichtig.
Snyman schlürfte seinen Kaffee aus und stand auf. Sein Hosenbein war mit Blut befleckt. Er pflanzte sich breitbeinig vor Deon auf. »In meinem Operationssaal«, sagte er schneidend, »bin ich der Chef, und ich dulde keine Einmischung. Wenn ich von meinem Assistenten etwas Besonderes wünsche, bitte ich ihn darum. Ist das klar?«
Deon starrte ihn an, zuerst überrascht, dann mit wachsendem Zorn. Aber Snyman blieb aufrecht vor ihm stehen und knurrte böse wie eine Bulldogge. »Ist das klar?« wiederholte er schrill.
»Ja, Sir«, sagte Deon, ohne seine Verachtung zu verbergen.
»Gut«, sagte Snyman. Er drehte sich um und stelzte davon. An der Tür blieb er stehen. »Van der Riet!«
Deon sah ihn herausfordernd in die kugelrunden Augen. Auf den Brillengläsern saßen noch winzige Blutspritzer. Professor Snyman nickte gewichtig mit dem Kopf. »Na, na, na«, murmelte er abwesend, als habe er vergessen, was er sagen wollte. Dann lächelte er zögernd und sagte: »Sie haben goldene
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