Die Erbsünde
Seite an. Wenn der Vorfall ihm nahe gegangen war, zeigte er es nicht. Vielleicht war seine Maske im Dunkeln draußen verrutscht. Jetzt hatte er sie jedenfalls wieder zurechtgerückt.
2
Deon beurteilte den Zustand eines Patienten nach der Anzahl der Anrufe, die er empfing, wenn er nicht im Krankenhaus war. Am meisten fürchtete er das erbarmungslose Zirpen des Telefons auf seinem Nachttisch in den frühen Morgenstunden, denn man rief ihn nachts nur in Fällen äußerster Dringlichkeit.
In der letzten Nacht war er nicht gestört worden, er durfte also hoffen, daß die Mitralklappen-Ringplastik sich gut erholt hatte. Trotzdem war er von einer inneren Nervosität beherrscht, ohne daß er hätte sagen können, warum. Er sah kurz bei der Intensivstation hinein, um sich zu vergewissern, daß es keine Komplikationen gab, aber alles war soweit in Ordnung. Er versuchte, das quälende Gefühl von Zweifel und Besorgnis zu verdrängen, als er zum Operationstrakt hinüberging. Im Umkleideraum traf er einen der Techniker, die an der Herz-Lungen-Maschine arbeiteten.
»Morgen, Professor.«
»Hallo, Martin. Wie weit sind sie da drinnen?«
Der Techniker hatte eine Hand auf die Klinke der Toilettentür und schien es eilig zu haben. »Noch bei der Eröffnung.«
»Herrgott noch mal! Es ist schon nach zehn. Was machen die denn die ganze Zeit?«
Der Techniker warf ihm einen ängstlichen Blick zu und verschwand schleunigst in der Toilette.
Als Deon in den Operationssaal trat, durchtrennte Peter Moorhead gerade das Brustbein mit einer breitschneidigen Schere. »Wieso benutzen Sie dazu eine Schere?« schnauzte Deon.
Peter sah ihn mit dem gleichen Blick an wie eben der Techniker. »Die Säge ist wieder einmal kaputt.«
Deon blitzte die Operationsschwester an, die sich umwandte und tat, als habe sie mit den Instrumenten zu tun. Ihr Rücken war steif und abweisend.
»Es ist immer dasselbe, Schwester«, räsonierte er laut. »Sie haben sie doch heute Morgen geprüft, als sie aus der Werkstatt kam, wie?«
Die Frau drehte sich abrupt um und sagte unwillig: »Das ist nicht meine Schuld. Wir haben schon vor Monaten eine neue Säge angefordert, aber der Antrag ist noch nicht durchgegangen.«
Deon fühlte sein Herz schlagen.
»Wenn das noch mal passiert, höre ich mitten in der Operation auf. Ich schließe den Einschnitt, lasse den Patienten zurück auf die Station bringen und sage den Eltern, daß ich ihr Kind nicht operieren kann, weil es ein Jahr dauert, ein Instrument zu bekommen, das vierhundert Rand kostet.«
Es war eine leere Drohung, und alle wußten es. Trotzdem wagte keiner, seinen Augen zu begegnen.
Unter Deons kritischem Blick begann Peter Moorhead, die Thymusdrüse vom Herzbeutel zu trennen. Auch er war offensichtlich aufgeregt, denn seine Hände arbeiteten nicht mit der üblichen Präzision. Deon wollte eine sarkastische Bemerkung machen, aber er sah in Peters Augen über der Maske und beherrschte sich mühsam.
Er ging durch den Waschraum in den anderen Operationssaal.
Robby war mitten in einer Operation und nickte Deon nur kurz zu.
Deon sah noch ein paar Minuten lang zu, dann ging er hinaus. Hier gab es nichts für ihn zu tun. Robby hatte die Operation gut unter Kontrolle. Mit langen, zielbewussten Schritten durchmaß er den Korridor, ohne so recht zu wissen, wohin er eigentlich wollte.
Peter Moorhead schien wieder Schwierigkeiten in seiner Ehe zu haben. Wenn das verflixte Frauenzimmer, seine Frau, sich nicht ändert, würde sie bald eine viel versprechende Karriere ruiniert haben. Deon wußte selbst nur zu gut, daß man seine häuslichen Probleme morgens nicht einfach hinter sich lassen konnte, aber er würde mit Peter sprechen müssen. Vielleicht konnte er ihm sogar helfen. Er mischte sich ungern in anderer Leute Privatangelegenheiten, aber wenn es so weiterging, würde Peter bald gezwungen sein, seinen Beruf aufzugeben, und das wäre ein Jammer, denn er war ein tüchtiger Chirurg.
Eher soll mich der Teufel holen, als daß ich es zulasse, daß mir ein guter Mann verloren geht, bloß weil er diese unmögliche Person geheiratet hat. Jeder wußte, daß sie überspannt war.
Er brauchte nur an die Party zu denken, die er und Elizabeth für das Herzteam gegeben hatten. Gillian Moorhead war schon in zänkischer Stimmung angekommen. Sofort ließ sie ihren Mann im Stich und klammerte sich wie eine Klette an Robby Robertson, den einzigen Junggesellen des Abends. Robby versuchte, die Situation mit einigen krampfhaft witzigen
Weitere Kostenlose Bücher