Die Erbsünde
Pathogenese.«
»Pathogenese? Was ist denn das schon wieder?« fragte Elizabeth brennend interessiert.
»Wörtlich übersetzt heißt es: Genesis – der Anfang, und patho – die Krankheit, also das Entstehen einer Krankheit. Zum Beispiel hat es sich gezeigt, daß Viren eine wichtige Rolle bei der Tumorbildung spielen, zumindest bei Tieren.«
»Ach, wirklich? Glaubst du, daß man eines Tages einen Impfstoff gegen Krebs erfinden wird, wie gegen Pocken?« fragte sie weiter.
Philip lachte kurz auf. »Möglich ist es schon. Wenn es uns erst gelingt, das Virus abzusondern …«
»Wie greift deiner Meinung nach das Virus die Zelle an?« warf Deon ein.
»Beginnen wir doch ganz von vorn. Was ist ein Krebs? Ein wucherndes Gewächs, weiter nichts«, erklärte Philip geduldig. »Und was ist ein Virus? Entweder ein Stück DNA oder RNS, derselbe chemische Stoff, der das Wachstum und die Teilung normaler Zellen bestimmt. Diese sogenannte Nukleinsäuren haben also das Programm für den Bau der nächsten Zelle. Kommt ihr noch mit?«
»Ich glaube schon«, antwortete Deon. Elizabeth schwieg.
»Wenn nun ein Virus einen Tumor verursacht, geht das wahrscheinlich so vor sich, daß es in die Zelle eintritt und sich mit der genetischen Information verbindet. Das bringt die Kontrolle der Zellteilung durcheinander – die Zelle wächst, wie sie will, und da habt ihr den Krebs.«
»Ist das nicht eine starke Vereinfachung?« meinte Deon.
»Vielleicht. Aber es gibt ausreichendes Beweismaterial für diese Virentheorie.«
Die Haustür schlug krachend zu. Sie drehten sich alle drei um. Eine Weile hörte man nichts, dann das schrille Lachen einer Frau.
Philip sah erschrocken auf, Deon und Elizabeth wechselten einen schnellen Blick. Er hatte die beiden während des Abends aufmerksam beobachtet und bemerkt, daß zwischen ihnen eine gewisse Spannung herrschte. Er fragte sich, ob seine Gegenwart die einzige Ursache dafür sei. Bis jetzt hatten sie ihn jedoch nicht fühlen lassen, daß er ein Außenseiter war.
Elizabeth stand auf und ging zur Tür. Ihr Kleid raschelte um ihre Fesseln. Wieder das Lachen, dann kam ein Mädchen die wenigen Stufen vom Flur herunter. Als erstes sah man nur Haare, eine zerzauste, blondsträhnige, ungekämmte und ungewaschene Mähne. Trotzige braune Augen starrten wild darunter hervor. Das Geschöpf wandte sich ab und stieß wieder dieses hohle, höhnische Gelächter aus.
»Meine Tochter«, sagte Deon mit zusammengekniffenen Lippen.
»Komm her und begrüße Herrn Professor Davids«, sagte ihre Mutter. Ihre Stimme war warm und begütigend, aber Philip hörte eine Spur von Unruhe darin. Das Mädchen blieb an der Treppe stehen und sah weder Philip noch ihre Mutter an. Mit beiden Händen hielt sie sich an dem schmiedeeisernen Geländer fest, schwankte jedoch leicht. Sie trug ein langes, dunkles Kleid, dessen besticktes Oberteil schmierig wirkte. Rock und Schal waren mit Fransen besetzt. Philip hatte solche Mädchen in den Enklaven junger, hemmungsloser Menschen auf der ganzen Welt gesehen, aber hier, in diesem Haus, hatte er nicht damit gerechnet.
»Das ist Lisa, Philip«, sagte Elizabeth mit einem tapferen Lächeln.
»Hallo, Lisa«, sagte Philip liebenswürdig.
Lisa fixierte ihn, und ihre Augen weiteten sich in Freude und Überraschung.
»Mensch, ein brauner Mann, ich liebe braune Männer!«
Elizabeth biss sich auf die Lippe, und Deon machte eine tastende Bewegung ins Leere. Aber der Ton des Mädchens war so entwaffnend, daß Philip gerührt war.
»Ja, ich bin braun«, sagte er und lächelte sie an.
Sie lehnte sich aus der Hüfte über das Geländer.
»Ich steh' auf Braun, Mann«, sagte sie leidenschaftlich.
»Wirklich?«
»Ja, Mann, es ist wie …«, sie hob die Arme gegen die Decke und sah aufwärts, »… wie die Sonne.« Ihr Gesicht nahm einen ängstlich besorgten Ausdruck an. »Stehst du auf Sonne?«
»Lisa«, sagte Elizabeth leise mahnend.
»Ich liebe die Sonne«, sagte Philip einfach.
Sie lächelte ihn mit leuchtenden Augen an, warf die unbändige Mähne zurück und verschwand. Er hörte noch das Klatschen ihrer nackten Füße auf den Fliesen.
Elizabeth setzte sich wieder in ihren Sessel. Deon machte sich mit der Kognakflasche zu schaffen, es herrschte ein unbehagliches Schweigen.
»Ihr habt doch noch mehr Kinder, nicht?« brach Philip schließlich das Schweigen.
»Einen Sohn«, sagte Deon, »Etienne.« Seine Stimme war belegt, er räusperte sich und fügte hin: »Er ist momentan nicht
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