Die Erbsünde
zerstreuen versucht.
Trotzdem empfand Deon dumpf, daß er sich rechtfertigen müsse, und sagte gereizt: »Ich finde, der Chirurg trägt eine ganz persönliche Verantwortung für seine Patienten. Geht beispielsweise ein Zuckerkranker zu einem Arzt in die Praxis, dann wird die Diagnose gestellt, die Behandlung eingeleitet, und stirbt der Patient, dann war es eben Pech. Der Arzt hat getan, was er konnte, aber niemand würde ihm die Schuld an der Ursache des Leidens geben. Wenn der Chirurg aber einen Patienten verliert, fühlt er sich persönlich schuldig.«
»Oder er hat ein aufgeblaseneres Ego!«
Deon schob die Bemerkung mit einer Handbewegung beiseite. »Nun hör doch mal zu. Sagen wir zum Beispiel, ich habe einen relativ harmlosen Eingriff vor, etwa einen Vorhof-Septum-Defekt. Vor der Operation geht es einem Kind mit so einem Defekt normalerweise recht gut. Es kann herumlaufen und spielen und so weiter. Also ich operiere und schließe das Loch. Das muß sein, sonst gibt es später Schwierigkeiten. Trotzdem, nach der Operation ist das Kind schwer krank und könnte sogar sterben. Und ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß ich persönlich dafür verantwortlich bin. Ich hab' es getan, mit meinen eigenen Händen.«
Philip schwieg einen Moment. »Ja, ich verstehe, was du meinst«, sagte er dann, und nachdenklich fügte er hinzu: »Es muß schwer sein, sich bei diesen Kindern nicht gefühlsmäßig zu engagieren.«
»Ich versuche, es zu umgehen, aber es kommt immer wieder vor.«
»Wie machst du das?«
»Ich versuche, vor der Operation so wenig Kontakt wie möglich mit meinen Patienten zu haben. Die Herzklinik macht alle Vorbereitungsarbeiten, meistens erfahre ich erst bei der Operationsplanbesprechung, wer als nächstes drankommt. Am Tag vor der Operation sehe ich den Patienten zum ersten Mal. Selbst dann noch halte ich die Untersuchung so kurz wie möglich. Aber auch so läßt es sich nicht immer abwenden.«
»Nicht?«
»Nein. Morgen habe ich einen VSD. Daher kam ich wahrscheinlich auf das Beispiel. Na ja, die Kleine sagte etwas, das mir ziemlich an die Nieren ging.«
»Was hat sie gesagt?« fragte Philip.
Eine Krankenschwester mit großen Augen über der Gesichtsmaske zupfte Deon schüchtern am Ärmel. »Dr. Moorhead, Herr Professor.«
Er versuchte, sich zu beherrschen, aber seine Stimme war heiser. »Was ist mit ihm?«
»Er sagt, er ist gleich soweit. Dann können Sie anfangen, Herr Professor.«
Er nickte und ging vor ihr her zum Operationssaal. Der Narkosearzt machte ihm schweigend Platz, und Deon blickte auf den Operationstisch und das gleichmäßig schlagende Herz hinunter. Und wiederging ihm durch den Kopf, was das Kind zu ihm gesagt hatte.
Sie hieß Marietje und war acht Jahre alt. Wie gewöhnlich hatte er es bis gestern abend vermieden, sie zu sehen. Sie hatte rotes Haar, Sommersprossen und eine Stupsnase und ließ sich willig untersuchen. Er hatte das kleine Mädchen ermutigend angelächelt und seine Hand auf ihre Brust gelegt. Peter Moorhead stand am Fußende des Bettes, sie sahen sich stirnrunzelnd an. Deon hatte sein Stethoskop liegenlassen, und jeder wollte der erste sein, ihm ein anderes zu reichen. Ein junger Assistenzarzt gewann das Rennen und lächelte verlegen, als Deon ihm mit einem kurzen Nicken dankte.
Ein anderer Assistent fummelte ungeschickt mit der Röntgenplatte herum, und Deon nahm sie ihm ungeduldig aus der Hand. Er hielt sie gegen das Licht und zog mit dem Finger die Umrißlinie des erweiterten Herzens nach. Dann sah er zum ersten Mal direkt in das Kindergesicht. Kluge grüne Augen blickten ihm aufmerksam entgegen. Sie war nicht so teilnahmslos, wie sie tat.
Was mochte sie über ihren Zustand wissen?
Er zwinkerte ihr freundlich zu. Sofort trat ein weicher Schimmer in ihre Augen.
»Du bist Dr. Van der Riet«, verkündete sie.
»Stimmt. Und du bist Marietje.«
»Ja«, stimmte sie feierlich zu. Plötzlich lächelte sie, hievte sich auf ihre Ellbogen und sagte vertraulich zu ihm: »Weißt du, ich habe ein gebrochenes Herz.«
»Sie sagte: ›Ich habe ein gebrochenes Herz‹«, wiederholte Deon zu Philip.
Philip grunzte verstehend.
»Es ist mir richtig nahe gegangen«, sagte Deon. »Ich habe ein ganz mulmiges Gefühl im Magen, wenn ich an die Operation morgen denke.«
Sie tauchten in den Lichtkreis einer Straßenlampe.
»Wieso?« Philip sah ihn fragend an. »Gibt es irgendwelche Komplikationen?«
»Nein. Alles in Ordnung. Ich habe – ach, was weiß ich – über
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