Die Erbsünde
Bemerkungen zu retten, und als das nichts half, flößte er ihr gehörig Whisky ein, um sie außer Aktion zu setzen, mußte aber mit einiger Bewunderung zusehen, wie sie ihn mit Todesverachtung hinunterkippte, ohne mit der Wimper zu zucken. Plötzlich sah sie am anderen Ende des Salons ihren Mann bei Colleen Blake stehen, der Ersten Operationsschwester. Ohne Warnung drückte sie dem verdatterten Robby ihr Glas in die Hand und pirschte sich wie ein Raubtier an die beiden heran. Als Colleen sich nach ihr umwandte, verpasste Gillian ihr eine Ohrfeige, die sie rückwärts taumeln ließ.
Das Traurige daran war, daß die gute Colleen mit ihrer eckigen Figur, den kurzgestutzten Haaren und der rauen Stimme lesbisch war und eher ohne Gesichtsmaske im Operationssaal erschienen wäre, als mit einem Mann zu flirten.
Unvermutet durchströmte Deon ein Gefühl von Stolz auf sein Team. Er hatte es aufgestellt und geformt, es war sein Werk. Die meisten der Techniker, Assistenten und Chirurgen waren unter ihm ausgebildet worden. Manche waren schnell in ihre Aufgabe hineingewachsen, bei anderen hatte es länger gedauert, aber sie hatten sich alle entwickelt. Sie waren sein Team, und er würde immer hinter ihnen stehen, selbst wenn es dadurch Schwierigkeiten mit den Vorgesetzten gab. Er wußte, daß er sich damit unbeliebt machte, aber sein Standardsatz in solchen Fällen lautete: »Ich werde dann anfangen, mich aufzuregen, wenn meine Patienten anfangen, sich über ihre Behandlung zu beklagen.«
Darum ging es doch schließlich: die Patienten. Erstaunlich, wie leicht das vergessen wurde. Vor lauter Ehrgeiz und Eifersüchteleien verloren viele die Tatsache aus den Augen, daß jeder einzelne im Krankenhaus, vom Heizer angefangen bis zum Chefchirurgen, einzig und allein für die Patienten da war.
Deon dachte mit Verbitterung an den letzten Krach mit der Krankenhausverwaltung. Seine Techniker, die an den Herz-Lungen-Maschinen arbeiteten, waren völlig überlastet. Sie waren bei dringenden Operationen zu jeder Tages- und Nachtzeit im Einsatz. Deon hatte verlangt, daß sie in eine höhere Gehaltsklasse eingestuft wurden als die anderen Techniker, die ein regelmäßiges Tagespensum absolvierten, oder daß man ihnen wenigstens die Überstunden bezahlte. Die Verwaltung hatte seine Forderung abgewiesen und vorgeschlagen, ihnen statt dessen ab und zu einen freien Tag zu geben. Offenbar hatte sich keiner die Mühe gemacht, den überfüllten Operationsplan zu konsultieren!
Schließlich hatte Deon einen vorschriftsmäßigen Antrag auf Einstellung zweier weiterer Techniker gestellt. Gestern war, nach zweimonatigem Warten, der Bescheid gekommen: Techniker seien nicht notwendig, sondern eine bessere Organisation der Herzabteilung.
Deon erreichte das Ende des Korridors und betrat geistesabwesend den Umkleideraum. Er legte sich im stillen zurecht, was er darauf erwidern wollte: Zugegeben, ich bin nur ein Mensch und daher nicht vollkommen. Aber ich bin hocherfreut zu hören, daß in der Verwaltung jemand sitzt, der besser qualifiziert ist als ich, eine Herzabteilung zu leiten. Bitte schicken Sie mir diesen Herrn, damit er mir zeigen kann, wie man es macht. Und zwar je eher, desto besser.
Er öffnete sein Spind, dabei fiel sein Blick auf eine gerahmte Schrift, die an der Wand neben dem Fenster hing. Seit Jahren hatte er sie dort hängen sehen und hatte sie doch kaum bemerkt.
Es war lange her, daß er den Text zum letzten Mal gelesen hatte; jetzt las er sich langsam die Worte vor. Es war ein Zitat aus ›Der Chirurg und das Kind‹ von Willis Pots: ›Wenn dieses Kind sprechen könnte, es würde dich, der du im Begriff bist, es zu operieren, flehentlich bitten: Bitte, geh mit größter Sorgfalt mit meinem zarten Gewebe um und versuche, meinen Defekt beim ersten Eingriff zu beheben. Gib mir Blut und die richtige Menge Flüssigkeit und Elektrolyten, gib reichlich Sauerstoff zur Narkose, und ich werde dir zeigen, daß ich unendlich viel aushalten kann. Du wirst staunen, wie schnell ich mich wieder erholen werde, und ich werde dir ewig dankbar sein.‹
Er las den Text noch einmal Wort für Wort durch, schloß sein Spind wieder und ging hinaus.
Gestern abend, als er Philip durch die nächtlich stillen Straßen nach Hause fuhr, hatten sie über Pamela Daley und ihren tragischen, vermeidbaren Tod gesprochen. Deon hatte sich bittere Vorwürfe gemacht, daß ihm der zweite Defekt entgangen war, aber Philip hatte seine Selbstanklage nüchtern analysiert und zu
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