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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludek Pesek
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voll Spannung auf das Wetter am Morgen.
    Nachdem sich der Morgennebel verflüchtigt hatte, überflutete die Sonne Sion und die umliegende Landschaft mit ihrem weichen, rosigen Licht. Die Wüste atmete friedlich. Um acht Uhr meldete sich die Basis. Das Wetter sei ausgezeichnet, das Barometer rühre sich nicht. Lawrenson sei startbereit. Ich hatte das Gefühl, daß der Kapitän zögerte, auch jetzt noch den Startbefehl zu geben. Ein Flug ohne Orientierungsgerät in der einförmigen Wüste ist auch bei gutem Wetter eine harte Prüfung.
    Nach einer Stunde begannen wir, Signalraketen abzuschießen. Die prasselnden, blendenden Leuchtkugeln stiegen wie grüne Sonnen in die riesige Höhe der dünnen Atmosphäre. Als nach einer weiteren, mit Nervosität erfüllten halben Stunde am nördlichen Horizont zwischen den Sternen ein beweglicher silbriger Punkt auftauchte, schrien wir alle wie eine Horde Jungen. Kein Wunder, denn was erlebten wir hier sonst noch für Freude?
    Die Libelle landete auf einem Felsplateau, ungefähr fünfzehn Meter von der Astra entfernt. Kaum hatte Lawrenson in drei Sätzen den Verlauf des Flugs geschildert, drängte der Kapitän schon wieder zum Rückflug. Wir füllten die Treibstoffbehälter der Libelle nach. Trott, der wieder im Raumanzug steckte und infolgedessen starke Schmerzen hatte, trugen wir in die Libelle, und bald wirbelten die Düsen der Motoren Staub und kleine Steinstücke unter der Libelle auf. Die Flugmaschine stieg hoch, beschrieb einen Kreis über der Astra und schwebte nach Norden. Als sie unter den Sternen am Horizont verschwunden war, kam uns das alles wie ein Traum oder ein Spiel der überspannten Phantasie vor. Auf einmal war nichts mehr da, was das Geschehen der wenigen verflossenen Minuten irgendwie dokumentiert hätte. Außer der Tatsache, daß Trotts Lager in der Kabine leer war. Alles, woran wir so oft und so lange gedacht hatten, war viel zu schnell geschehen. Es war - wie McKinley sagte -, »als wäre der heilige Elias auf einem Feuerwagen erschienen«. Daß es doch Lawrenson war, davon wurden wir nach eineinhalb Stunden überzeugt, als die Basis meldete, daß die Libelle soeben gelandet sei.
    Die Unstimmigkeiten zwischen dem Kapitän und O'Brien begannen sich nach dem gelungenen Flug der Libelle zu steigern. O'Brien war fasziniert von der Leichtigkeit, mit der die Libelle dreihundert Kilometer Wüste überwand. Wie leicht konnte er mit Lawrenson das Gebiet Deucalionis Regio, das Ziel der Expedition, erreichen und damit die Hauptaufgabe der ganzen Marsexpedition erfüllen! Er sah auch, wie zwecklos die Strapazen der im Schneckentempo auf zahllosen Umwegen vorrückenden Expedition waren. Er beschwor den Kapitän eindringlich, keine voreilige Entscheidung bezüglich der Rückkehr der Expedition zu treffen, und schlug vor, daß Lawrenson und Silcott das gute Wetter und die Erfahrungen nutzen und noch am gleichen Tag nach Sion fliegen sollten. Von diesem Stützpunkt aus könne man mit der Libelle zu weiteren Flügen in das Gebiet von Sinus Sabaeus oder sogar von Deucalionis Regio stanen.
    Der Kapitän schien durch den gelungen Flug der Libelle ein bißchen unschlüssig geworden zu sein. Ich war nicht überzeugt, daß es nur Vorsicht war, die ihn veranlaßte, die Entscheidung auf den nächsten Tag zu verschieben. Ich hatte in den Charakteren aller Expeditionsmitglieder schon so viel Neues entdeckt - mich selbst nicht ausgenommen -, daß ich auch folgenden Gedanken für möglich hielt: Der Kapitän widersetzt sich den Ansichten O'Briens unter dem Vorwand der Vorsicht, aber nur deshalb, weil ihn O'Briens Drängen reizt. Mich überraschte es keinesfalls, als O'Brien verbittert explodierte: »Morgen! Morgen kann es schon zu spät sein!« Der Kapitän parierte den Angriff mit kalter Logik: »Was würde die Libelle auf Sion nützen, wenn sich morgen das Wetter verschlechtert?«
    Darauf erwiderte O'Brien ebenso logisch: »Sie hätte das Risiko des Flugs von der Basis nach Sion hinter sich.«
    Als ich in der Nacht die Kabine der Astra verließ, damit mich Compton auf meinem Lager ablösen konnte, glitzerte im Schimmer der Sterne der Rauhreif unter meinen Füßen. Ich stand nur wenige Meter von meinen Gefährten entfernt und glaubte einen Traum zu erleben, der mich in eine unendlich entfernte Welt ohne Menschen verschlagen hatte. Darin verborgen spürte ich zugleich Sehnsucht und Angst. Ich glaubte etwas zu erleben, was ich schon einmal erlebt hatte; doch ich konnte mich an nichts

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