Die Erde ist nah
Sicht nimmt.
Der dritte Tag gleicht genau dem zweiten, der vierte dem dritten. Wir vermissen die Kabine der Astra, in der wir den Körper von den schweren Geländeanzügen befreien konnten. In der Nacht liegen wir auf dem Boden, nur durch eine dünne Schicht Isolierstoff vom frostigen Tod getrennt, und atmen die abgemessenen Dosen Leben ein, während sich Ströme todbringender Gase im Ozean der Marsatmosphäre vom Nordpol zum Äquator wälzen.
Nach zehn Tagen haben wir ein Viertel des Weges zu Sion hinter uns. Der Wind läßt nach. Seine eintönige Stimme dringt mit unermüdlicher Zudringlichkeit durch die Metallhelme in die Gehirne. Es ist jedoch die einzige Stimme und die einzige Bewegung in dieser uferlosen Wüste.
Erst am sechzehnten Tag legt sich der Wind. Aus dem uns umgebenden Nebel beginnt allmählich, wie ein Fotobild im Entwicklungsbad, das blasse Bild der Wüste zu erscheinen. Von diesem Augenblick an folgen elf völlig windstille Tage. Es gelingt uns bei idealem Wetter das Gebiet der Staubsümpfe zu umfahren. Mittags steht die Sonne fast senkrecht über unseren Köpfen und bestrahlt die Wüste mit scharfem, klarem Licht, in dem der Staub pastellfarbig leuchtet; der feinste
Staub glitzert in silbriggrauem Ton, der feine Sand in hellster Ockerfarbe; die Streifen gröberen Materials sind rostfarbig, während die nichtverwehten Felsen und Steinblöcke unter dem Anstrich des rotbraunen Wüstenlacks dunkel glänzen. Gegen Mittag beginnen vom dunkelvioletten Firmament kleine silbrige Rauhreifnadeln zu fallen. Sie schweben bei absoluter Windstille so langsam und gleichmäßig zur Erde, als würde sich selbst die Zeit verlangsamen, die das komplizierte Räderwerk des Alls dreht. Die grausame Wüste will uns scheinbar in einem launischen Anfall von Liebenswürdigkeit auch die zartere Seite ihres Wesens zeigen. Während der Silberregen allmählich dünner wird, bilden sich um die Sonne mehrere farbige Kreise, aus deren Rändern flimmernde Strahlen farbigen Lichtes herausschießen. In der feierlichen Stille, die sich wie die riesige, feierliche Kuppel einer Kathedrale über uns wölbt, habe ich das Gefühl, daß etwas unaussprechlich Zartes mich berührt.
Dann beginnen die farbigen Streifen zu verblassen und zu zerfließen, und die Landschaft verwandelt sich wieder in das tote Bild der Wüste.
Welchen Preis wir für diese Weile Schönheit und Verzückung bezahlen müssen, erfahren wir nach zwölf Stunden; um Mitternacht weckt uns das entfernte, dröhnende Heulen eines Staubsturms. In gedrückter Stimmung befestigen wir die Sicherungsseile an die Eidechsen und Anhänger. Über den Dünen liegt eine verräterische Stille. Der unbewegliche Staub glänzt matt im Licht der Sterne. Wir legen die Sicherungsseile an.
Das Brüllen des Sturms nimmt zu, als wälze sich eine riesige Steinlawine durch die Landschaft.
Der erste Ansturm überschüttet das Lager mit einer Staubflut.
Drei Tage und drei Nächte wurde das Lager von dem wütenden Sturm gepeitscht. Kaum war es uns gelungen, einen Schlepper oder Anhänger aus dem Staub zu befreien, verschwand der andere unter den Staubwehen. In der Dämmerung, die weder Tag noch Nacht war, schien alles ungeheuerliche Ausmaße anzunehmen, so daß wir wie eine Bande monströser dunkler Roboter aussahen, die für alle Ewigkeit dazu verurteilt waren, die Schaufeln zu schwingen, Durst zu leiden und nicht zu schlafen - nicht zu schlafen und Durst zu leiden.
Als der Sturm endlich aufhörte, fallen wir entkräftet zu Boden und bleiben den ganzen Tag liegen. Ich glaube, daß man in dem zähen Verlangen zu leben, nichts besonders Menschliches sehen darf; ein gebrochener Baum wächst weiter, ein Tier überlebt schreckliche Verwundungen. Nach dem Gesetz irgendeiner kuriosen Gleichung ist die Widerstandskraft des Lebens direkt vom Grad der Primitivität abhängig; je einfacher der Organismus, desto zäher der Drang zu überleben. Ein spezielles, menschliches Merkmal ist jedoch die Bereitschaft, eine bloße Erkenntnis mit dem Leben zu bezahlen. Obwohl Windstille herrscht, ist die Atmosphäre nach dem Sturm so von Staub getrübt, daß man nicht weiter sieht als hundert Meter. Endlich kommen wir in das Gebiet der mit Steinen bedeckten Ebenen. Sion kann nach unseren Schätzungen nicht mehr weit sein. Doch in diesem Nebel dorthin zu gelangen, ist nicht leicht. Außerdem sind wir deprimiert, weil es uns seit gestern früh nicht gelungen ist, Verbindung mit der Basis aufzunehmen. Hat der Sturm die
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