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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludek Pesek
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Antenne beschädigt, oder ist noch etwas viel Schlimmeres passiert? Dann wollen wir unseren Standort bestimmen, doch das Gerät am östlichen Peilpunkt in der Wüste Edom reagiert nicht. Wenn jemand in der Geschichte der Marsexpedition den kritischen Punkt suchen wollte, dann liegt er hier unter unseren Füßen, auf der ausgetrockneten und staubigen, steinigen
    Ebene der Wüste Edom. Hier liegt der Wendepunkt. Alles zerfällt in die Zeit vorher und nachher. Alles, was nachfolgt, ist durch diesen unglückseligen Ort gekennzeichnet. Von nun an können wir die Lage nur durch beiläufige Schätzung bestimmen. Die Ausnahme, daß die Libelle vielleicht ohne Navigationsgeräte die Stelle mit der beschädigten Radioanlage in der einförmigen Wüste finden könne, müssen wir von der Hand weisen. Dadurch erhält jedoch der gesamte Plan des Großen Marsches einen gewaltigen Riß. Die Einöde, die uns noch von Deucalionis Regio trennt, kann beim Verlust der Orientierung eine Todesfalle werden. In dieser Situation ist es verständlich, daß der Kapitän, ein Mann, dessen Lebensanschauung die reale Sicherheit ist, sich ganz an die einzige Sicherheit klammert, die noch übrigbleibt, an das Peilgerät der Basis. Die Last der Verantwortung für die ihm anvertrauten Menschenleben gestattet ihm nicht, im Adlerflug die Fittiche zu schwingen und sich kopfüber in den Angriff zu stürzen. Er schlägt O'Brien die Rückkehr zur Basis vor. O'Brien verlangt einen Aufschub dieser Entscheidung, solange er nicht Sion gefunden hat. Die Meinungen der einzelnen Marschteilnehmer gehen auseinander. Der Kapitän kann nichts anderes tun, als auch diesen Kompromiß zu akzeptieren. Während die Basis schweigt, setzen wir unseren Marsch fort. Wir suchen Sion. Ich denke an den Kapitän und erinnere mich an seine Worte, die er mir vor Zeiten ins Gesicht geschleudert hat; ich denke an Williams, der unter dem Steinhügel ruht, und mit einer Genugtuung, die mir wie ein beinahe süßes Laster vorkommt, verzeichne ich das erste Anzeichen der Niederlage des Kapitäns. Ein bißchen erschrocken darüber rufe ich den Verstand zu Hilfe, doch der sagt mir, daß nichts auf der Welt vollkommen ist, am wenigsten die Maßstäbe der Moral.
    Abends meldet sich die Basis. Am Sender ist Jenkins. Er meldet, daß die vom Sturm beschädigte Hauptantenne wieder funktioniert. Bis auf den Umstand, daß das ganze dritte Lastschiff vom Staub verschüttet sei, sei alles in Ordnung. Dann meldet sich Lawrenson und will wissen, wann er endlich mit Silcott an die frische Luft kann. Seine gute Laune kontrastiert scharf mit dem, was uns in der Steinwüste bedrückt. Der Kapitän schweigt eine Weile und sagt dann: »Das östliche Peilgerät funktioniert nicht.« Aus dem Empfänger ist Lawrensons Fluchen zu hören, und dann folgt einige Sekunden Stille. Der Kapitän liest Lawrensons Gedanken und verbietet streng den Versuch, den Radiomast mit der Libelle zu suchen. Das Gespräch mit der Basis ist beendet. Über die Rückkehr der Expedition fällt kein Wort mehr. Damit ich wirklich etwas zum Nachdenken habe, kommt Trott zu mir und beschwert sich über Störungen des Blutkreislaufes. Ich frage ihn, was er an seinem Blutkreislauf schlecht findet. Trott beschwert sich über kalte Füße und Kopfschmerzen. Ich halte das für eine Folgeerscheinung der Erschöpfungen der letzten Tage und sage: »Aber Irwin, das ist etwas für alte Leute.« Trott behauptet jedoch, daß er das Gefühl habe, als hätte er keine Zehen an den Füßen. Das ist allerdings bedenklich. Mir drängt sich ein beunruhigender Gedanke auf. Im scharfen Scheinwerferlicht der Eidechse besichtige ich Trotts schwere Stahlschuhe, die mit dem Raumanzug zu einem undurchlässigen Ganzen verbunden sind. Die Oberfläche des Metalls ist von zahllosen Schrammen bedeckt, und der Raumanzug ist bis zu den Knien vom Sand wie mit grobem Schmirgel abgerieben. Ich sehe keinen Schaden; ich habe aber auch, falls der Raumanzug beschädigt ist, keine Hoffnung, ihn früher auszuwechseln, als bis wir die Astra finden.
    Am nächsten Morgen ist Trott bewußtlos. Daß er nicht tot ist, kann ich nur danach beurteilen, daß er nicht steif ist. Wir legen ihn auf den Anhänger der Roten Eidechse und setzen unseren Marsch im von der Sonne schwach durchleuchteten Staubnebel fort. Gegen Mittag löst sich der Nebel auf. Trott lebt noch. Wenn ich ihn rüttle, öffnet er die Augen, doch auf Worte reagiert er nicht. Obwohl er liegt, halten wir sein Sauerstoffgerät auf

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