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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludek Pesek
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Volleistung. In der Ferne zeichnet sich ein scharf beleuchteter Felsenhügel gegen den dunklen Horizont ab. Ist es Sion?
    Nach drei Stunden sind wir so nahe, daß wir einzelne Risse und Spalten in den Felsen unterscheiden können, doch nichts läßt darauf schließen, daß wir am Ziel sind. Die Sonne neigt sich zum Horizont und überflutet die namenlose Felsengruppe, der wir den Namen Pseudosion geben, mit rotem Licht. Ungewöhnlich frühzeitig senkt sich der nächtliche Rauhreifnebel vom Firmament herab und breitet einen undurchsichtigen Schleier über die Landschaft. Erst jetzt, während Trott mit frierenden Füßen neben uns liegt, fühlt jeder am eigenen Rückgrat den kosmischen Frost, der mit dem Wind die Herrschaft über diesen Planeten teilt. Am nächsten Tag schleppen wir Trott wieder zu einer anderen einsamen Felsengruppe. Außer uns und den Maschinen rührt sich in der gleichgültigen Wüste nicht ein Sandkörnchen. Ich bin zwar schon ziemlich abgebrüht, um so manches zu ertragen, doch bin ich noch nicht hart genug, um gleichgültig zuzusehen, wie neben mir ein Freund stirbt. Ich glaube, daß ich diese teilnahmslose Wüste, einst inniges Ziel meiner Sehnsucht, zu hassen beginne. Von Trotts Körper, der meine Hilfe braucht, trennt mich eine Panzerwand, die kein Arzt, kein Mensch durchdringen kann.
    Ich glaube in dem Felsengebilde vor uns eine Ähnlichkeit mit Sion zu erkennen. Und doch glaube ich es nicht, um nicht enttäuscht zu werden. Ich glaube es auch noch nicht, als ich in den Kopfhörern die Stimme McKinleys höre, der an der Spitze der Kolonne ruft, daß er die Astra sehe. Ich halte es für einen der grausamen Späße der Natur und das Gebilde am Fuß des Felsens für einen gewöhnlichen, viereckigen Felsblock. Doch bald unterscheide ich die Sehluken der Kabine. Voll Angst, daß noch ein Schlag von der anderen Seite kommen kann, überzeuge ich mich, ob Trott noch lebt. Als ich behutsam an seinem Helm rüttle, öffnet er die Augen. Ich sage ihm, daß wir nach einer Weile bei der Astra sein werden, warte aber vergeblich auf ein Zeichen der Erleichterung in seiner Miene. Nach ungefähr einer Stunde hält die Expedition vor der Kabine der Astra. Zu Beginn des Marsches war sie mit bunten Bändern geschmückt, doch jetzt steht sie da, kahl und kalt wie die umliegenden Felsen.
    Während das Aggregat des Sauerstoffregenerators und der Thermalanlage in der Kabine der Astra auf Volltouren läuft, schlürft Trott, den wir vom Raumanzug befreit haben, heißen Tee. Infolge einer geringen Beschädigung des Raumanzugs sind seine Zehen erfroren. Außerdem ist Trott von dem Sauerstoffmangel völlig erschöpft. Das erste Wort, das er nach so vielen Stunden des Schweigens heiser hervorbringt, lautet: »Warm!« Mir scheint, daß das mehr ist, als ich zu erwarten gewagt habe. Auch glaube ich, daß mir in dieser Sekunde die Bedeutung dieses Wortes voll aufgegangen ist.
    23
    Obwohl wir für die Erholung in der Kabine der Astra die Mannschaft so einteilen mußten, daß alle zwölf Mitglieder der Expedition gruppenweise die Gelegenheit, ohne Raumanzug zu schlafen, ausnützen konnten, wurde Sion nach den Entbehrungen, die wir durchgemacht hatten, eine Oase der Sicherheit und der Bequemlichkeit, besonders nachdem Gray den Defekt am zweiten Sauerstoffgerät beseitigt hatte. In mir aber rief die Kabine die Erinnerung an die Tage wach, die ich hier mit Williams verbracht hatte; und das war nicht gerade ermutigend. Als wäre dieser Ort irgendwie mit einem Fluch beladen, hatte ich wieder einen Kranken zu betreuen. Ich erinnerte mich an die endlosen Tage voller Stöhnen, Fieber, Phantasieren und Blut.
    Trott klammerte sich mit katzenhafter Zähigkeit an sein Leben. Nach vierundzwanzig Stunden der Ruhe hatte sich sein Zustand soweit gebessert, daß er nicht mehr bewußtlos wurde. Mir graute vor dem Gedanken, daß ein chirurgischer Eingriff nötig sein könnte. Von neuem erschien Williams' tragisches Schicksal vor meinen Augen. Mit operierten Füßen würde Trott den Raumanzug gar nicht anziehen können. Wieder setzte ich meine Hoffnung auf die Libelle, die den Verwundeten zur Basis befördern könnte, wo er Ruhe und Bequemlichkeit und Watts' Hilfe hätte. Das mußte so schnell wie möglich geschehen. Der Kapitän stimmte mit mir überein und gab - wenn auch schweren Herzens - die Erlaubnis zum Start der Libelle. Entscheidend allerdings war die meteorologische Situation.
    Am Abend sprachen wir das alles mit der Basis ab und warteten

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