Die Erde
auch nach Chartres?«
Delphin riß die Augen weit auf, dann antwortete er heftig:
»Ach, Himmelsakrament, nein! Ich würde in der Stadt abkratzen.«
Der Vater warf einen Seitenblick auf seinen Sohn, während Delphin, seinem Kumpel zu Hilfe kommend, weiterredete:
»Ist gut für Nénesse, dorthin zu gehen, wo er sich, so fein anziehen und auf dem Piston blasen kann.«
Delhomme lächelte, denn die Begabung seines Sohnes für das Pistonblasen schwellte seine Brust vor Stolz. Übrigens kam Fanny zurück, die Hand voller Vierzigsousstücke, und zehn davon zählte sie langsam und bedächtig Nénesse in die Hand, Geldstücke, die ganz weiß waren, weil sie unter einem Haufen Getreide gelegen hatten. Sie traute ihrem Schrank nicht, sie versteckte daher ihr Geld in kleinen Beträgen hinten in allen Winkeln des Hauses, im Getreide, in den Kohlen, im Sand, so daß ihr Geld, wenn sie etwas bezahlte, bald die eine, bald die andere Farbe hatte, weiß, schwarz oder gelb.
»Das langt immerhin«, sagte Nénesse statt eines Dankes. »Kommst du mit, Delphin?«
Und die beiden munteren Bürschchen flitzten davon, man hörte, wie sich ihr Lachen entfernte.
Als Jean sah, daß Vater Fouan, der sich während des ganzen Auftritts nicht umgedreht hatte, das Fenster verließ und in den Hof hinaustrat, leerte er sein Glas. Er verabschiedete sich und suchte den Alten wieder auf, der in der schwarzen Nacht stand.
»Na, Vater Fouan, wollt Ihr zu Geierkopf gehen, damit ich Françoise bekomme? – Ihr seid das Familienoberhaupt, Ihr braucht bloß ein Wort zu sagen.«
Mit abgehackter Stimme sagte der Greis im Dunkel immer wieder:
»Ich kann nicht ... Ich kann nicht ...« Dann platzte er los, gestand es ein. Mit den Delhommes sei es aus, am nächsten Tage werde er zu Geierkopf ziehen, der ihm angeboten hatte, ihn zu nehmen. Wenn sein Sohn ihn schlagen sollte, würde er weniger leiden, als wenn ihn die Tochter mit Nadelstichen umbringe.
Außer sich über das neue Hindernis, kam Jean schließlich raus mit der Sprache.
»Ich muß Euch sagen, Vater Fouan, daß wir miteinander geschlafen haben, Françoise und ich.«
»Ach!« entfuhr es dem alten Bauern lediglich. Nachdem er überlegt hatte, fragte er dann: »Ist das Mädchen schwanger?«
Obwohl Jean sicher war, daß sie nicht schwanger sein konnte, weil er einen Rückzieher gemacht hatte, antwortete er:
»Immerhin möglich.«
»Da kann man bloß abwarten ... Wenn sie schwanger ist, wird man weiter sehen.«
In diesem Augenblick erschien Fanny an der Tür und rief ihren Vater zum Essen.
Er drehte sich um und brüllte:
»Du kannst dir dein Essen in den Arsch stecken! Ich gehe schlafen.« Und aus Wut ging er mit leerem Bauch nach oben, um sich ins Bett zu legen.
Langsam machte sich Jean wieder auf den Heimweg, er war so von Kummer zerquält, daß er sich auf der Hochebene wiederfand, ohne gemerkt zu haben, wohin ihn die Landstraße führte. Die dunkelblaue, mit Sternen übersäte Nacht war drückend und brennend. In der reglosen Luft spürte man, wie irgendein Gewitter nahte, aber in der Ferne vorüberzog, und nur im Osten sah man Blitze zucken. Und als er aufblickte, gewahrte er links Hunderte von phosphoreszierenden Augen, die wie Kerzen aufflammten und sich ihm beim Geräusch seiner Schritte zuwandten. Das waren die Schafe in der Hürde, an der er entlangging.
Die träge Stimme des alten Soulas erhob sich.
»Na und, Junge?«
Die Hunde, die auf der Erde ausgestreckt lagen, hatten sich nicht gerührt, weil sie einen Mann vom Gehöft witterten. Durch die Hitze aus dem Hirtenwagen vertrieben, schlief der kleine Schweinehirt in einer Ackerfurche. Und allein der Schäfer stand aufrecht inmitten der flachen, von der Nacht ertränkten Ebene.
»Na und, Junge, ist's geschafft?«
Ohne auch nur stehenzubleiben, antwortete Jean:
»Er hat gesagt, wenn das Mädchen schwanger ist, wird man weiter sehen.«
Schon war er an der Hürde vorbei, als die Antwort des alten Soulas ernst in dem weiten Schweigen zu ihm herüberhallte:
»Das ist richtig. Man muß abwarten.«
Und Jean setzte seinen Weg fort. Die Beauce erstreckte sich ins Unendliche, erdrückt von bleiernem Schlaf. Man spürte ihre stumme Trostlosigkeit, die versengten Stoppelfelder, die zerschundene und ausgeglühte Erde an einem Brandgeruch, am Sang der Grillen, die knisterten wie Glut unter der Asche. Allein die Schatten der Mieten bildeten Buckel auf dieser düsteren Nacktheit. Alle Augenblicke zogen Blitze dicht überm Horizont einen
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