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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sich einmal aufs Land zurückzuziehen. Aber was für eine Dummheit, daß er sich eingebildet hatte, an dem Tage, da er das Gewehr und den Hobel aus der Hand legte, würde der Pflug seine Sehnsucht nach Ruhe stillen! Falls die Erde ruhig war und gut zu denen, die sie liebten, so genügten die wie Ungeziefernester auf ihr klebenden Dörfer, die vom Schoße der Erde lebenden menschlichen Insekten, sie zu schänden und den Zugang zu ihr zu vergiften. Er entsann sich nicht, jemals soviel gelitten zu haben wie seit seiner nun schon weit zurückliegenden Ankunft auf La Borderie.
    Jean mußte die Pflugsterze etwas anheben, damit es bequemer ging. Eine leichte Krümmung der Furche verdroß ihn. Er wendete, gab sich mehr Mühe, und trieb sein Pferd an.
    »Hü, hott!«
    Ja, was für Elend in diesen zehn Jahren! Zunächst sein langes Warten auf Françoise; dann der Krieg mit Geierkopfs. Nicht ein Tag war ohne Gemeinheiten vergangen. Und jetzt, da er Françoise hatte, seit den zwei Jahren, die sie beide verheiratet waren, konnte er sich jetzt wirklich glücklich nennen? Wenn er sie auch immer noch liebte, so hatte er doch erahnt, daß sie ihn nicht liebte, daß sie ihn niemals lieben würde, wie er gern geliebt worden wäre, mit allen Fasern ihres Leibes, mit allen Küssen ihres Mundes. Beide lebten in gutem Einvernehmen, ihr Haushalt gedieh, man arbeitete, sparte. Aber daran lag es überhaupt nicht, er fühlte, daß sie weit weg, kühl, von einem anderen Gedanken in Anspruch genommen war im Bett, wenn er sie in den Armen hielt. Sie ging im fünften Monat schwanger mit einem jener lustlos gezeugten Kinder, die ihrer Mutter nur Weh bereiten. Nicht einmal diese Schwangerschaft hatte sie einander nähergebracht. Er litt vor allem unter einem immer deutlicher werdenden Gefühl, das er am Abend ihres Einzugs in das Haus empfunden hatte, unter dem Gefühl nämlich, daß er für seine Frau ein Fremder blieb: ein Mann aus einer anderen Gegend, der woanders gewachsen war, man wußte nicht wo, ein Mann, der nicht dachte wie die Leute aus Rognes dachten, der ihr anders gebaut zu sein schien, von dem zu ihr keine Bindung möglich war, obwohl er sie schwanger gemacht hatte. Nach der Heirat hatte sie in ihrer Erbitterung gegen Geierkopfs an einem Sonnabend ein Blatt Stempelpapier aus Cloyes mitgebracht, um testamentarisch alles ihrem Mann zu vermachen, denn sie hatte sich erklären lassen, daß das Haus und die Erde wieder an ihre Schwester zurückfallen würden, falls sie stürbe, ohne ein Kind zu haben, weil allein das Geld und die Möbel in die Gütergemeinschaft eingingen; ohne daß sie ihm irgendeine Erklärung darüber gegeben hätte, schien sie sich dann anders besonnen zu haben, völlig unbeschrieben lag das Blatt noch in der Kommode; und er hatte darüber einen großen geheimen Kummer verspürt, nicht daß er auf den Besitz ausgewesen wäre, aber er sah darin einen Mangel an Zuneigung. Wozu übrigens jetzt noch ein Testament, da ja das Kleine bald zur Welt kommen würde? Ihm war nichtsdestoweniger jedes Mal schwer ums Herz, wenn er die Kommode aufmachte und das unnütz gewordene Stempelpapier erblickte.
    Jean blieb stehen, ließ sein Pferd verschnaufen. Er selber schüttelte in der eisigen Luft seine Benommenheit ab. Mit einem langsamen Blick betrachtete er den leeren Horizont, die unermeßliche Ebene, darin weit in der Ferne andere Gespanne unter dem Grau des Himmels ertranken. Er wunderte sich, als er Vater Fouan erkannte, den irgendeine Erinnerung hierherzog, ein Bedürfnis, einen Feldzipfel wiederzusehen, und der auf dem neuen Wege von Rognes daherkam. Dann senkte Jean den Kopf, er vertiefte sich eine Minute lang in den Anblick der offenen Furche, der ausgeweideten Erde zu seinen Füßen: auf dem Grunde war sie gelb und stark, die umgekippte Scholle hatte gleichsam einen wieder jung gewordenen Schoß ans Licht gebracht, während der Mist, als ein Bett zu üppiger Befruchtung, verscharrt wurde; und seine Überlegungen wurden verworren; die komische Vorstellung, daß man den Boden so durchwühlen mußte, um Brot zum Essen zu haben, die Verärgerung darüber, daß er sich nicht von Françoise geliebt fühlte, andere, noch verschwommenere Dinge, das, was da wuchs, sein Kleines, das bald zur Welt kommen würde, die ganze Arbeit, die man leistete, ohne oft deshalb glücklicher zu sein. Er faßte wieder die Pflugsterze, er stieß seinen kehligen Schrei aus:
    »Hü, hott!«
    Jean beendete gerade das Pflügen, als Delhomme, der zu Fuß von

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