Die Erde
schlimmen Streich gut durchschaut. Die Schufte, die hatten ihn weiß Gott bei lebendigem Leibe gebraten, um zu verhindern, daß er etwas ausplauderte. Erst Françoise, dann Fouan: weil sie Françoise umgebracht hatten, mußten sie Fouan auch umbringen. Wer war jetzt an der Reihe? Und ihm kam der Gedanke, daß jetzt er an der Reihe war: sie wußten, daß er in das Geheimnis eingeweiht war, sie würden ihm sicher an der Ecke eines Gehölzes eine Kugel durch den Kopf jagen, falls er darauf beharrte, in der Gegend wohnen zu bleiben. Warum sie dann nicht sofort anzeigen? Er entschloß sich dazu, er würde gleich nach dem Aufstehen die Geschichte den Gendarmen erzählen. Dann befiel ihn das Zaudern wieder, ein Mißtrauen vor dieser wichtigen Sache, bei der er Zeuge war, eine Furcht, dabei ebensoviel zu leiden wie die Schuldigen. Wozu also sich noch neue Sorgen machen? Ohne Zweifel war das nicht gerade tapfer, aber er fand eine Entschuldigung, er sagte sich immer wieder, daß er Françoises letztem Willen gehorchte, wenn er nicht sprach. Die ganze Nacht hindurch war er unschlüssig, bald wollte er, und bald wollte er nicht mehr, war krank von dieser Pflicht, vor der er zurückschreckte.
Als Jean gegen neun Uhr aus dem Bett gesprungen war, tauchte er den Kopf in eine Schüssel kaltes Wasser. Jäh faßte er einen Entschluß: er würde nichts erzählen, er würde nicht einmal den Prozeß führen, um die Hälfte der Möbel wiederzubekommen. Die Sache kostete sicher mehr als sie wert war. Ein Gefühl des Stolzes machte ihn wieder zuversichtlich, machte ihn froh, daß er keiner von diesen Halunken war, daß er der Fremde war. Mochten sie sich ruhig gegenseitig zerfleischen: das wäre eine Last weniger, wenn sie sich alle auffräßen! Das Leid, der Ekel vor den in Rognes verbrachten zehn Jahren stiegen ihm in einer Zorneswoge wieder aus der Brust hoch. Wenn man bedachte, daß er an dem Tage, da er nach dem Italienkrieg aus dem Militärdienst ausschied, so freudig gewesen war bei dem Gedanken, kein Säbelraßler, kein Menschentöter mehr zu sein! Und seit jener Zeit lebte er inmitten dreckiger Geschichten, inmitten von Wilden. Gleich bei seiner Heirat hatte ihm das schwer auf dem Herzen gelegen; aber da stahlen sie, mordeten sie nun! Richtige Wölfe, die losgelassen wurden über die so große, so ruhige Ebene! Nein, nein! Das langte, diese reißenden Bestien verleideten ihm das Landleben! Warum eine Wölfin und einen Wolf mit Netzen umstellen lassen, wo man das ganze Rudel hätte vernichten müssen? Lieber ging er fort.
In diesem Moment fiel sein Blick wieder auf eine Zeitung, die er am Vortage aus der Schenke mit hochgebracht hatte. Er hatte sich für einen Artikel über den nahe bevorstehenden Krieg interessiert, über diese Kriegsgerüchte, die umliefen und seit ein paar Tagen Angst und Schrecken verbreiteten; und was er in seinem Innersten nicht ahnte, was die Nachricht darin unbewußt erweckt hatte, das war eine richtige Flamme, die schlecht ausgelöscht war, die wiedererstand und sich plötzlich von neuem entzündete. Sein letztes Zögern fortzugehen, der Gedanke, daß er nicht wußte, wo er hingehen sollte, wurde davon hinweggeblasen, hinweggefegt wie von einem weiten Wehen des Windes. Na also! Er würde kämpfen, er würde sich wieder zum Militär meiden. Er hatte seine Schuld bezahlt. Aber was denn? Wenn man keinen Beruf mehr hat, wenn das Leben einen anödet und man tobt, weil Feinde einem zusetzen, dann ist es noch das Beste, auf sie einzuhauen. Eine richtige Erleichterung, eine richtige dunkle Freude wühlte ihn auf. Er zog sich an und pfiff dabei laut das Claironssignal, das ihn in Italien immer in die Schlacht geführt hatte. Die Menschen waren zu schuftig, die Hoffnung, Preußen abzuknallen, verschaffte ihm Erleichterung; und da er keinen Frieden gefunden hatte auf diesem Fleckchen Erde, wo sich die Familien gegenseitig das Blut aussoffen, war es ebensogut, wenn er wieder ins Gemetzel zurückkehrte. Je mehr er von diesen Menschen umbrachte, je röter die Erde sein würde, desto mehr würde er sich gerächt fühlen in diesem verdammten Schmerzens und Elendsleben, das die Menschen ihm bereitet hatten.
Als Jean nach unten gegangen war, aß er zwei Eier und ein Stück Speck, das Flore ihm auftrug. Dann rief er Lengaigne und bezahlte seine Rechnung.
»Ihr geht weg, Korporal?«
»Ja.«
»Ihr geht weg, aber Ihr kommt doch zurück?«
»Nein.«
Erstaunt sah ihn der Schankwirt an, obwohl er seine Überlegung für sich
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