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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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nur den Hunden, ein Toter könne seiner Familie nicht auf dem Halse liegen bleiben; schließlich machte er persönliche Grunde geltend, der Tote sei sein Schwiegervater, der Schwiegervater des Bürgermeisters von Rognes. Na, es sei morgen früh um zehn Uhr.
    Nein! Nein! Nein! Abbé Godard wehrte sich, schrie sich heiser, und der Bauer, der immer noch hoffte, daß über Nacht guter Hat kommen werde, mußte ihn verlassen, ohne ihn erweicht zu haben.
    »Ich sage Euch nein!« schleuderte ihm der Priester ein letztes Mal von seiner Tür aus nach. »Laßt nicht läuten ... Nein! Tausendmal nein!«
    Am nächsten Tage bekam Bécu vom Bürgermeister die Anweisung, um zehn Uhr zu läuten. Man würde ja sehen. Bei Geierkopfs war alles fertig, die Einsargung war am Vortage unter den kundigen Blicken der Großen erfolgt. Die Stube war bereits gescheuert, nichts erinnerte mehr an den Brand, nur der Vater zwischen seinen vier Brettern. Und die Glocke läutete; die Familie hatte sich schon vor dem Haus versammelt, weil jetzt die Leiche abgeholt werden sollte, plötzlich sah man, wie auf Macquerons Straße Abbé Godard daherkam, ganz außer Atem, da er gerannt war, so rot und so wütend, daß er seinen Dreispitz ungestüm schwenkte, weil er aus Angst vor einem Anfall mit bloßem Kopf ging. Er sah niemand an, stürzte sich in die Kirche, kam sofort im Chorhemd wieder zum Vorschein, vor ihm her gingen die beiden Ministranten, von denen der eine das Kreuz und der andere den Weihwasserkessel hielt. Im Galopp ließ er ein schnelles Gebrabbel auf die Leiche los; und ohne sich darum zu kümmern, ob ihm die Träger mit dem Sarg folgten, ging er wieder zur Kirche zurück, wo er wie ein Wirbelwind mit der Messe begann. Clou und seine Posaune sowie die beiden Vorsänger gerieten durcheinander und kamen nicht mit ihm mit.
    In der ersten Reihe saß die Familie, Geierkopf und Lise, Fanny und Delhomme, Jesus Christus, die Große. Herr Charles, der das Leichenbegängnis mit seiner Anwesenheit beehrte, hatte für seine Frau um Entschuldigung gebeten, weil sie vor zwei Tagen mit Elodie und Nénesse nach Chartres abgereist war. Was Bangbüx betraf, so hatte sie im letzten Augenblick bemerkt, daß drei ihrer Gänse fehlten, sie war losgeflitzt, um sie zu suchen. Die Kleinen, Laure und Jules, saßen hinter Lise und rührten sich nicht, waren sehr artig, hielten die Arme verschränkt und hatten schwarze und ganz große Augen. Und auf den anderen Bänken drängten sich viele Bekannte, vor allem Frauen, die Frimat, die Bécu, Cœlina, Flore, kurzum eine Trauergemeinde, auf die man wirklich stolz sein konnte. Als sich der Pfarrer vor der Präfation77 zu den Gläubigen umdrehte, machte er die Arme furchtbar breit, wie um die Leute zu ohrfeigen. Bécu, der sehr besoffen war, läutete immer noch.
    Alles in allem war das eine Messe, so wie es sich gehörte, obwohl sie zu schnell gelesen wurde. Man ärgerte sich nicht, man lächelte über den Zorn des Abbes, den man entschuldigte; denn natürlich war er unglücklich über seine Niederlage, ebenso wie sich alle anderen über den Sieg von Rognes freuten. Eine spöttische Genugtuung heiterte die Gesichter auf, weil sie im Streit mit dem lieben Gott das letzte Wort behalten hatten. Sie hatten ihn also doch gezwungen, seinen Heiland zu bringen, der ihnen im Grunde genommen schnuppe war.
    Als die Messe beendet war, ging der Weihwasserwedel von Hand zu Hand, dann formte sich das Trauergeleit wieder: das Kreuz, die Vorsänger, Clou und seine Posaune, der in seiner Hast nach Luft schnappende Pfarrer, die von vier Bauern getragene Leiche, die Familie, dann die lange Reihe der anderen Leute. Bécu hatte wieder angefangen, so stark zu läuten, daß die Raben mit ängstlichem Gekrächze vom Kirchturm aufflogen. Man kam gleich auf den Friedhof, man brauchte ja nur um die Kirchenecke zu biegen. Die Gesänge und die Musik schallten noch lauter inmitten des großen Schweigens unter der von Dünsten verschleierten Sonne, die den fröstelnden Frieden des Unkrauts erwärmte. Und so von der freien Luft gebadet, wirkte der Sarg plötzlich dermaßen klein, daß alle davon betroffen waren. Jean, der dageblieben war, empfand Rührung darüber. Ach, der arme Alte, der so abgezehrt vom Alter, so zusammengeschrumpelt vom Elend des Lebens war, ging bequem in diese Spielzeugschachtel, eine ganz winzig kleine Schachtel! Er würde nicht viel Platz einnehmen, er würde diese Erde nicht zu sehr ausfüllen, die weite Erde, nach der die

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