Die Erde
sie abfahren sah. Was man dort tat, dieser Tote, den man hergetragen hatte, diese Grube, die offenstand, diese letzte heilige Handlung, das schien für die Nachbarn dazusein, nicht für sie. Hochgewachsen und hager, mit ihrem Stock unter dem Arm, verharrte sie hingepflanzt inmitten der Gräber, ohne irgendeine Rührung, empfand einzig Neugier und Überdruß bei diesem Sterben, das den anderen widerfuhr.
Der Priester brummelte den letzten Vers des Psalms:
»Et ipse redimet Israel ex Omnibus iniquitatibus ejus.«80 Er nahm den Weihwedel aus dem Weihwasserkessel, schüttelte ihn über dem Sarg aus und erhob dabei die Stimme: »Requiescat in pace.«81
»Amen«, antworteten die beiden Ministranten.
Und der Sarg wurde hinabgelassen. Der Totengräber hatte die Seile befestigt, zwei Männer genügten, das Ganze wog nicht mehr als die Leiche eines kleinen Kindes. Dann begann das Vorbeiziehen wieder, abermals ging der Weihwedel von Hand zu Hand, jeder schwenkte ihn in Kreuzform über der Grube.
Jean, der herzugetreten war, empfing ihn aus Herrn Charles' Hand, und seine Augen tauchten hinab auf den Grund des Loches. Er war ganz geblendet, weil er lange auf die unermeßliche Beauce geschaut hatte, auf die Säer, die von einem Ende der Ebene bis zum anderen, bis zu den lichtvollen Dünsten des Horizonts, wo sich ihre Schattenrisse verloren, das künftige Brot in die Erde senkten. Jedoch in der Erde unterschied er den Sarg, der noch kleiner wirkte mit seinem schmalen Fichtenholzdeckel von der blonden Farbe des Getreides; und fette Erdschollen glitten hinab, deckten ihn zur Hälfte zu, Jean sah nur noch einen blassen Fleck, wie eine Handvoll Getreide, die die Kumpel dort unten in die Furchen warfen. Er schwenkte den Weihwedel, er reichte ihn an Jesus Christus weiter.
»Herr Pfarrer! Herr Pfarrer!« rief Delhomme diskret. Er rannte hinter Abbé Godard her, der nach Beendigung der heiligen Handlung mit seinem Sturmschritt davoneilte und seine beiden Ministranten vergaß.
»Was denn noch?« fragte der Priester.
»Es ist bloß, um Ihnen für Ihre Gefälligkeit zu danken ... Sonntag wird also um neun Uhr zur Messe geläutet, wie üblich, nicht wahr?« Da ihn der Pfarrer, ohne zu antworten, starr ansah, beeilte er sich dann hinzuzufügen: »Wir haben da eine arme Frau, die ist sehr krank und ganz allein, und nicht einen Heller hat sie ... Rosalie, die Strohflechterin, Sie kennen sie ja ... Ich habe ihr Fleischbrühe geschickt, aber ich kann nicht alles machen.«
Abbé Godards Gesicht hatte sich entspannt, ein Schauer rührender Barmherzigkeit hatte den Ausdruck ungestümer Heftigkeit hinweggenommen. Verzweifelt durchwühlte er seine Taschen, fand nur sieben Sous.
»Borgt mir fünf Francs, ich gebe sie Euch am Sonntag zurück.« Und er stob davon, ganz außer Atem durch ein abermaliges Hasten. Sicher würde der Heiland, den herzubringen man ihn zwang, diese Verdammten aus Rognes alle in die Hölle zum Braten schicken; bloß, ach was, das war kein Grund, daß man sie in diesem Leben zu sehr leiden ließ.
Als Delhomme zu den anderen zurückkehrte, platzte er mitten in einen furchtbaren Streit hinein. Zunächst hatte die Trauergemeinde voller Anteilnahme den Schaufeln voll Erde nachgesehen, die der Totengräber auf den Sarg warf. Aber da der Zufall Macqueron am Rand des Loches dicht mit Lengaigne zusammengebracht hatte, fauchte der ihn rundweg an wegen der Grabstellen. Und die Familie, die sich anschickte, fortzugehen, blieb, ergriff bald ebenfalls leidenschaftlich Partei in dem Streit, den die dumpf und regelmäßig aufschlagenden Schaufelwürfe begleiteten.
»Du hattest nicht das Recht dazu«, schrie Lengaigne, »du konntest noch soviel Bürgermeister sein, es mußte der Reihe nach gegangen werden; und bloß um mit mir zu stänkern, deshalb rückst du Papa so nahe! – Aber, Himmelsakrament, noch liegst du nicht da!«
Macqueron antwortete:
»Willst du mich wohl in Frieden lassen! – Ich habe bezahlt, hier ist meine Bleibe. Und ich werde hier herkommen, kein Dreckschwein deiner Sorte wird mich daran hindern, hier zu liegen.«
Ohne es zu merken, waren sie bis zu ihren Grabstellen gekommen, da standen sie nun vor den paar Fuß Erde, in denen sie einst schlafen sollten.
»Verdammter Feigling, das macht dir also nichts aus, der Gedanke, daß wir beide da liegen würden, unsere Gerippe als Nachbarn, wie ein Paar wirklicher Freunde? Mir, mir brennt dabei das Blut wie Feuer in den Adern. Das ganze Leben lang hätten wir uns
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