Die Erde
und die Gosse in der Mitte, die schwarze Wasser fortschwemmte, dreißig Jahre lang gesehen. Aber wie viele Wochen, wie viele Monate hatte sie bei sich zu Hause verlebt, im Schatten, ohne auch nur die Schwelle zu überschreiten! Sie blieb stolz auf die Diwane und die Spiegel des Salons, das Bettzeug und die Mahagonimöbel der Zimmer, auf all diesen Luxus, auf dieses StrengRegelmäßige in der Behaglichkeit, ihre und ihres Mannes Schöpfung, beider Werk, dem sie ihr Vermögen verdankten. Eine schwermütige Schwäche erfaßte sie, wenn sie sich an gewisse intime Ecken, an den anhaltenden Duft der Toilettenwasser, an diesen besonderen Geruch des ganzen Hauses erinnerte, den sie auf ihrer Haut, in sich selbst bewahrt hatte wie ein Sehnen. Deshalb wartete sie auf die Zeiten, in denen es sehr viel Arbeit gab, und verjüngt und freudig reiste sie ab, nachdem sie von ihrer Enkeltochter zwei schallende Kusse bekommen hatte, die sie der Mutter gleich am Abend in dem Süßwarenladen weiterzugeben versprach.
»Ach, das ist aber dumm, das ist aber dumm!« sagte Geierkopf mehrmals, der wirklich verärgert war bei dem Gedanken, daß die Charles nicht kommen würden. »Aber wenn meine Kusine der Tante schreiben würde, daß sie zurückkommen soll?«
Elodie, die bald fünfzehn Jahre wurde, hob ihr Gesicht, das Gesicht einer pausbackigen und bleichsüchtigen Madonna mit spärlichem Haar und so dünnem Blut, daß die frische Landluft sie noch blutärmer zu machen schien.
»O nein«, murmelte sie, »Großmutter hat mir ausdrücklich gesagt, daß sie für mehr als zwei Wochen mit den Süßigkeiten zu tun haben würde. Und daß sie mir sogar einen Beutel voll mitbringen will, wenn ich artig bin.«
Das war eine fromme Lüge. Man brachte ihr von jeder Reise Bonbons mit, von denen sie annahm, sie seien bei ihren Eltern hergestellt worden.
»Na schön«, schlug Lise vor, »kommt ohne Eure Frau, Onkel, kommt mit der Kleinen.«
Aber Herr Charles hörte nicht mehr zu, war wieder ganz aufgeregt. Er trat ans Fenster, schien nach irgend etwas Ausschau zu halten, drängte einen Zornesausbruch, der drauf und dran war, sich Luft zu machen, in seine Kehle zurück. Und da er nicht mehr an sich halten konnte, schickte er das junge Mädchen mit einer Bemerkung hinaus.
»Geh einen Augenblick spielen, Liebling.«
Als sie gegangen war, weil sie gewohnt war, so hinauszugehen, sobald die Erwachsenen plauderten, pflanzte er sich dann mitten im Zimmer auf, verschränkte die Arme in einer Entrüstung, die sein untadeliges, fettes und gelbes Gesicht, das Gesicht eines Gerichtsbeamten im Ruhestand, erzittern ließ.
»Ist denn das zu glauben! Hat man jemals so was Abscheuliches gesehen! – Ich war gerade dabei, meine Kletterrosen zu verschneiden, ich stieg auf die letzte Sprosse der Leiter, ich beugte mich mechanisch zur anderen Seite hinüber, und was erblicke ich da? – Honorine, ja, mein Dienstmädchen Honorine mit einem Mann, die Beine in der Luft, er auf ihr drauf, auf dem besten Wege, ihre Dreckigkeiten zu machen ... Ach, die Schweine, die Schweine, am Fuß meiner Mauer!« Er rang nach Luft, er begann mit erhabenen Gebärden der Verwünschung auf und ab zu wandern. »Ich warte auf sie, um sie rauszuschmeißen, die Hure, die elende! – Nicht ein Dienstmädchen können wir behalten. Man macht sie uns alle schwanger. Das ist immer dasselbe, nach einem halben Jahr werden sie mit ihren Bäuchen unmöglich in einer ehrbaren Familie ... Und die hier, die ich dabei erwischt habe, wie sie's gerade machte, und zwar mit einer Inbrunst! Bestimmt, das ist das Ende der Welt. Das Lotterleben kennt keine Grenzen mehr.«
Geierkopf und Lise, die verdutzt waren, teilten aus Ehrerbietung seine Entrüstung.
»Klar, das ist nicht gerade anständig, o nein, nicht anständig!«
Aber wiederum blieb er vor ihnen stehen.
»Und stellt euch vor, wenn Elodie auf diese Leiter geklettert wäre und das entdeckt hätte! Elodie, die so unschuldig ist, die von nichts eine Ahnung hat, bei der wir sogar auf die Gedanken aufpassen! – Das versetzt mich in Angst und Schrecken, Ehrenwort! – Was für ein Schlag, wenn meine Frau hier gewesen wäre!« Gerade in dieser Minute, als er einen Blick aus dem Fenster warf, gewahrte er das Kind, das seiner Wißbegier nachgab und den Fuß auf die erste Sprosse der Leiter setzte. Er stürzte herzu, und als habe er sie am Rande eines Abgrunds gesehen, schrie er ihr mit angsterstickter Stimme zu: »Elodie! Elodie! Komm herunter, geh dort weg, um
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