Die Erde
in der Familie. Als reiche und gefürchtete Königin erheischte sie Rücksicht. Deshalb ging Geierkopf eines Abends mit Lise – beide im Sonntagsstaat – zu ihr, um sie zu bitten, bei der Hochzeit dabeizusein, bei der kirchlichen Feier und dann beim Essen, das bei der Braut stattfinden sollte.
Die Große saß allein in ihrer Küche und strickte; und ohne das Spiel der Nadeln zu verlangsamen, sah sie die beiden starr an, sie ließ sie ausreden, ließ sie dreimal dieselben Sätze wiederholen. Schließlich sagte sie mit ihrer schrillen Stimme:
»Zur Hochzeit, ach nein, bestimmt nicht! – Was sollte ich denn bei der Hochzeit machen? – Das ist was für die, die ihren Spaß dran haben.«
Die beiden hatten gesehen, wie das Pergamentgesicht der Großen bei dem Gedanken an diese Schmauserei, die sie nichts kosten würde, Farbe bekam, und sie waren sicher, daß sie annehmen würde; aber der Brauch wollte es, daß man sie sehr bitten mußte.
»Tante, nein, wirklich! Ohne Euch geht das nicht.«
»Nein, nein, das ist nichts für mich. Habe ich denn die Zeit dazu, habe ich denn was anzuziehen? Das sind immer Ausgaben ... Man lebt auch ganz gut, wenn man nicht zur Hochzeit geht.«
Sie mußten zehnmal ihre Einladung von neuem vorbringen, und die Große sagte schließlich mit mürrischer Miene:
»Es ist gut, weil ihr mich zwingt, werde ich kommen. Aber nur weil ihr's seid, mache ich mir solche Umstände.«
Als sie dann sah, daß die beiden nicht aufbrachen, kämpfte sie mit sich selbst, denn üblicherweise pflegte man unter solchen Umständen ein Glas Wein anzubieten. Sie entschloß sich dazu, ging in den Keller hinunter, obwohl eine angebrochene Flasche dastand. Sie tat das deshalb, weil sie für solche Gelegenheiten noch einen Rest verdorbenen Wein hatte, den sie nicht trinken konnte, so sauer war er, und den sie Vetternverscheucher nannte. Sie schenkte zwei Gläser voll, sie sah ihren Neffen und ihre Nichte mit so starren Augen an, daß die beiden, um sie nicht zu verletzen, die Gläser leeren mußten, ohne eine Grimasse zu schneiden. Die Kehle brannte ihnen, als sie von der Großen weggingen.
Noch am selben Abend begaben sich Geierkopf und Lise auf das Besitztum Roseblanche zu den Charles. Aber dort platzten sie mitten in eine tragische Begebenheit hinein.
Herr Charles stand sehr aufgeregt in seinem Garten. Zweifellos hatte ihn gerade in dem Augenblick, da er einen Kletterrosenstrauch verschnitt, eine heftige Erregung gepackt, denn er hielt die Gartenschere noch in der Hand, und die Leiter lehnte noch an der Mauer. Er bezwang sich jedoch, er ließ Geierkopf und Lise in den Salon eintreten, in dem Elodie mit ihrer bescheidenen Miene stickte.
»Aha, ihr heiratet in acht Tagen. Das ist sehr gut, meine Kinder ... Aber wir werden nicht dabeisein können, meine Frau ist in Chartres, und sie wird etwa vierzehn Tage bleiben.« Er hob seine schweren Lider, um einen Blick zu dem jungen Mädchen hinüberzuwerfen. »Ja, wenn die Arbeit drängt bei den großen Jahrmärkten, will meine Frau unserer Tochter dort etwas zur Hand gehen ... Ihr wißt ja, Geschäft ist Geschäft, es gibt Tage, wo die Leute sich schier erdrücken in dem Laden. Estelle mag sich noch so sehr mit dem Geschäftsgang vertraut gemacht haben, ihre Mutter ist ihr doch sehr nützlich, um so mehr, als man das von unserem Schwiegersohn Vaucogne bestimmt kaum sagen kann ... Und außerdem freut sich meine Frau, das Haus wiederzusehen. Das ist nun mal so. Wir haben dort dreißig Jahre unseres Lebens verbracht, das zählt schon!«
Er wurde gerührt, seine Augen wurden feucht, waren verschwommen, starr nach dort hinten in die Vergangenheit gerichtet. Und es stimmte, seine Frau empfand tief in ihrer bürgerlichen Zurückgezogenheit, die so weich, so wohlhabend, voller Blumen, Vogel und Sonnenschein war, oft Heimweh nach dem kleinen Haus in der Rue aux Juifs. Wenn sie die Lider schloß, sah sie das alte Chartres wieder, das sich auf dem Hange zum Tal hinabzog, vom Place de la Cathédrale bis zu den Ufern des Eure. Sie kam dort an, sie ging die Rue PorteCendreuse, dann die Rue des Ecuyers, um den kürzesten Weg einzuschlagen, sie stieg den Tertre du PiedPlat hinunter; und auf der letzten Stufe kam die Nr. 19, die die Ecke der Rue aux Juifs und der Rue de la PlancheauxCarpes bildete, mit ihrer weißen Fassade, ihren stets geschlossenen grünen Fensterläden vor ihr zum Vorschein. Die beiden Straßen waren erbärmlich; sie hatte ihre dreckigen Bruchbuden und Einwohner
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