Die Erdfresserin
mich kurz an ihn an und er lehnt sich mir entgegen.
Das Schweizerhaus ist ein Pflichtbesuch im Prater, erklärt mir Leo ernsthaft, als würde er mir gut gehütetes, uraltes Wissen über seine Heimat verraten, das man erst nach langer Zeit erfahren darf.
Das Schweizerhaus mit Bier und Schweinefleisch, zusammengedreht zu einer kümmelkrustigen Schnecke, aus der in der Mitte ein Knochen herausragt.
»Eine Stelze!«, jubelt Leo und wuchtet seine Stelzen in den engen Plastikstuhl am Plastiktisch und rückt fachmännisch die rotkarierte Tischdecke zurecht.
»Früher war ich oft hier.«
Er lehnt sich zurück, sein Bauch hat kaum Platz zwischen Deckenrand und Hemdknopfleiste.
»Habt ihr auch so was?«, fragt er mich plötzlich, als ob ihm jetzt erst eingefallen ist, dass ich möglicherweise auch noch eine Vergangenheit habe, nicht nur er. Die rotkarierten Decken gibt es nicht bei uns zu Hause, nicht diese Art von Rot und Weiß, die so kleinlich ineinander übergehen.
»Am liebsten habe ich Gegrilltes. Ich liebe Schaschlikfleisch, knusprig über offenem Feuer gebraten, Lamm oder Rind«, antworte ich.
Schweinernes schätze ich weniger, habe mir aber unterwegs durchaus angewöhnt, es zu essen, um Geld zu sparen. Die Wiener Passion fürs Schweinefleisch ist mir nie so richtig verständlich gewesen. Aber auch bei uns gibt es laubbedeckte Tische und angeheiterte, vollgefressene Gesellschaften darum herum, die ihre Einsamkeit und den Überfluss leben.
»Ich meine, feiert ihr auch, so wie wir?«
»Alle Menschen feiern gern«, sage ich ausweichend.
Ich will nicht schon wieder als Spiegel herhalten müssen. Das ist etwas, das den Einheimischen scheinbar sehr wichtig ist – diese vielen, drängenden Fremden erst gehörig abzuwerten, sich dann aber in einer seltsamen, fast masochistischen Regung mit Lust von ihnen beobachten und erklären zu lassen, sich in dem Blick des zuvor Erniedrigten zu sonnen und sich vermutlich besser und heiler zu fühlen, als sichere, bequeme Bewohner eines sicheren, bequemen Landes, das mit Neid belagert wird, um es irgendwann doch noch zu besetzen. Das bedeutet, dass auch dieser illustrative Blick nur kurz geduldet wird, bevor er aus besagten Sicherheitsgründen wieder abgewehrt werden muss und die Entwertung weitergehen kann. Zwischen den Tischen eilen Kellner umher, deren Unterleiber in weiße, lange Schürzen gehüllt sind, auf ihren Tabletts klirren die beschlagenen gelben Riesengläser mit seitwärts geneigter Schaumkrone aneinander. Gebratene Hähnchen, Berge von Bratkartoffeln, Leos geliebte Stelzen werden kreuz und quer durch den Garten getragen. Ich fühle mich in diesem Schlaraffenland etwas deplaziert, genieße aber die Speisendüfte und die angenehme Sommerwärme der Luft. Die Bedienung kommt zu uns, ein hagerer Kellner mit Brille, er ist abgehetzt, sein Revier viel zu groß, als dass er es ohne Reklamationen der Gäste abdecken könnte, immer wartet irgendjemand stirnrunzelnd auf ihn und wedelt nervös mit den Händen und verlangt. Leo bestellt fröhlich, er bestellt viel zu viel, wir werden nicht mal die Hälfte essen können.
»Zwei Krügel Gösser«, schließt er seinen Redeschwall, während der Kellner kaum mit dem Schreiben mitkommt.
»Nein, nein«, unterbreche ich ihn, »kein Bier. Ich trinke kein Bier.«
Kaum habe ich den Mund aufgemacht, ist es Leo auch schon unangenehm. Ich habe viel von ihm gelernt. Habe geübt. Habe intensiv ferngesehen und Radio gehört. Ich mache natürlich viele Fehler und ich klinge immer noch fremd, und er kann nicht darüber hinweggehen, über diese Eindeutigkeit, die er sich immer wieder vergessen macht.
»Doch, trinkst du wohl«, schmettert er mich ab. »Im Schweizerhaus trinkt man Bier zur Stelze.«
»Nicht ich«, schnappe ich zurück.
»Was jetzt«, drängt der Kellner nervös. Am Nebentisch winken gleich zwei verschiedene Arme heftig.
Leo, der sich sonst immer fügt, wenn ich die Stimme hebe, fühlt sich in diesem Etablissement so sicher und zu Hause, dass er den Aufstand probt. Mit einem Arm drückt er mich an sich, wuschelt mir die Haare auf mit der anderen Hand und bestätigt mit fester Stimme seine Bestellung ohne Rücksichtnahme auf meine Wünsche.
»Du bist hier Gast«, stellt er fest. »Du musst lernen, was man hier macht.«
»Das hier ist ein Gastgarten«, stelle ich leise fest. »Da ist jeder Gast. Trottel.«
Er lacht wieder verlegen.
»Ich zahl ja sowieso alles«, fügt er hinzu.
Wir schweigen abermals. Dann winkt Leo wie
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