Die Erdfresserin
wollte.
Der Dackel hat Durchfall und Daniel heiratet, während Inge betrogen worden ist und Seher braucht einen Krankenschein, jawohl, einen Kran-ken-schein, verstehen Sie mich? Ja, Sie brauchen nicht schreien, was ist das, Krankenschein, Marta kommt auch, mit den Kindern, und geh jetzt, ich will dich nie wieder sehen, nie wieder, nein bitte, bitte bleib. Lauter kleine Theaterstücke. Tragikomödien. Dramolette. Nicht sehr gut geschrieben, noch schlechter gespielt. Ich wollte mir die schwachen Darbietungen nicht ansehen, aber als Hörspiele interessierten sie mich scheinbar doch, denn was hätte mich sonst dazu getrieben, stundenlang zwischen den Besuchern zu sitzen, eine aufgeschlagene Zeitung vor mir, die ich kein einziges Mal umblätterte, nicht einmal zur Tarnung.
Sie beachteten mich sowieso nicht.
*
Eigenartig ist, dass oben plötzlich unten ist, links rechts und schwarz weiß, ich bin nicht mehr die, die pflegt und sorgt und arbeitet, im Gegenteil, ich werde gepflegt, ich werde bearbeitet, ich werde umsorgt. Alle meine Pflichten haben sich kurzfristig in Passivität umgekehrt. Ich ahne, dass ich mich ursprünglich dagegen wehrte, aber irgendetwas ist anders, und ich lasse es über mich ergehen. Nehme meine Medizin pünktlich morgens und abends, auch weil sie mich eindringlich davor warnten, die Dosierung abzuändern oder die Einnahme gar abzubrechen.
Nehme meine Mahlzeiten dankbar ein. Halte meine Bäder, meine Gymnastikübungen ein, meine kleinen neuen Verpflichtungen, die nur mir gelten, niemandem sonst, und ich warte täglich, warte angespannt auf meine ersehnten Stunden bei ihm.
Sie halten mich aufrecht in diesen trägen Tagen, sie geben Ordnung und einen Zeitplan vor, alles, was mein Leben so undurchdringlich gestaltet hat, scheint mir durchschaubarer zu werden. Leichter. Nur noch halb so schlimm, wenn man ihm zuhört, während irgendwo, sehr weit unten, tief unter dem weißen Rauschen der Medizin, der Spitalswärme und der Freundlichkeit rundum sich etwas zusammenrollt, wie ein Tier auf Lauer. Es rollt sich zusammen, prüft seine Krallen, blinzelt in der Wärme und sieht sich alles sehr genau an. Es schläft nicht, wenn es auch döst, es schläft nicht und beobachtet und merkt sich alles und prüft erst die Krallen, dann den Rest.
*
»Grüß Sie Gott«, sagt er und weist mit der gewohnten Geste auf meinen Fauteuil, Holz, mit weißem Überwurf, die Kopflehne ist schon etwas eingedrückt von den vielen, vielen schweren Köpfen, zwischen uns erneut sein Glastisch und zwei Gläser Wasser. Die Dolmetscherin dezent im Hintergrund. Immer dasselbe Ritual. Täglich. Er legt Wert darauf, und ich habe meine Versuche aufgegeben, diese Regeln zu sabotieren, indem ich zu spät oder zu früh erscheine, seine Türe ohne zu klopfen aufreiße, um einen erschreckten Patienten zu mir herumfliegen zu sehen, indem ich schweige, die ganze Stunde lang nur schweige, um ihn zu verunsichern. Ich habe sie aufgegeben, weil das alles an ihm abgeperlt ist, als wären ich und meine Wut Wasser und er eine ausgefressene, selbstzufriedene Gans. Er lächelte immer noch und schloss die Tür, sollte ich vor der Zeit erschienen sein, er lächelte und hielt seine Ansprache genau die fünf Minuten, die uns von der Einheit noch blieben, nicht ohne mich kurz nach meinem Befinden zu fragen. Er lächelte und ließ mich schweigen, fünfzig Minuten lang. Seine Bemühungen um mich fanden meinen Gefallen, es hatte sich noch nie jemand um mich bemüht, sich von mir unentgeltlich etwas bieten lassen. Mich akzeptiert.
Allerdings witterte ich eine Routine hinter der Akzeptanz, eine Kaltschnäuzigkeit, ein Programm, ein gut einstudiertes Programm, und ich vergaß nicht, darauf zu warten, wann sich mir die Möglichkeit bieten würde, ihn dessen zu überführen, während er mich umsorgte.
»Grüß Gott«, sagt er, jeden Tag, verlässlich zur selben Uhrzeit öffnet er mir die Türen und die Ohren und sagt, ich solle Gott grüßen, seinen Gott, meinen, ich weiß es nicht, er sagt nichts Genaueres dazu, außer: »Grüß Gott. Nehmen Sie Platz. Wie geht es Ihnen?«
Und ich grüße ihn, den Gott dieser Hallen, und nehme Platz und sage, wie es mir geht. Manchmal die Wahrheit.
Solange ich brav jeden Tag dasitze, holt niemand die Polizei. Niemand bringt mich über die Grenze. Niemand kümmert sich um meine Papiere. Gott ist groß und barmherzig.
Gott trägt eine silberne Brille, hat silbernes Haar, gütige Augen und ein unverbindliches Lächeln. Gott
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