Die Erdfresserin
schuldbewusst zu assistieren, als ob er wüsste, dass er selbst mich aus dem Konzept gebracht hat.
Ich schließe hilflos die Augen und versuche meines Vaters Haus zurückzuzwingen. Es wird jetzt wohl sehr verfallen sein. Niemand wird ihnen helfen, wenn ich nicht da bin, niemand bei der Pflege des großen Gartens, bei der Betreuung meines Sohnes, der ebenfalls von Jahr zu Jahr mehr verfällt. Das viele Holz, das gekauft und im schlimmsten Fall aus dem Wald gebracht werden will, um den großen Ofen zu beheizen, wenn die Schneestürme draußen die alten Bäume rütteln und deren Äste brechen. Das Heulen des Windes hinter dunklen Fensterscheiben, der eisige Hauch des gefrorenen Glases, durch das man die Landstraße nicht erkennen kann, nur eine märchenhafte Blumenlandschaft.
»Ich sehe wieder unser Haus«, sage ich dann langsam, »ich sehe es immer und immer wieder, ich träume ständig davon. Manchmal ist es leer, verfallen, und es hausen wilde Tiere dort. Manchmal sind meine Schwester und ich wieder klein, und meine Mutter herrscht darin, aber eigentlich, Herr Doktor, herrscht sie immer darin.«
»Was zum Beispiel für Träume?«
»Immer wieder derselbe Traum.«
»Würden Sie ihn mir genauer schildern? Schließen Sie einmal die Augen.«
Das fällt mir leicht, denn die Medizin macht mich immer leicht benommen und hüllt mich in eine undurchdringliche Müdigkeit.
Meine Augen wollen sowieso nicht offen bleiben, die Lider flattern, senken sich ab und zu unkontrolliert. Ich sehe nur noch seinen rechten Schuh und ein Stück Boden in dem Spalt. Ich sträube mich, seine Stimme kommt von weit weg, sanft, verführerisch.
»Was sehen Sie?«
»Ich höre. Zuerst höre ich. Das Heulen des Windes hinter dunklen Fensterscheiben.«
Mit den Geräuschen des Windes gleite ich leicht wieder in die Vergangenheit zurück, leicht wie ein Kind, das auf einem Schlitten den Hügel hinuntergleitet, und dieser Schlitten gewinnt nach und nach an Geschwindigkeit. Die dunkelrote Wärme umhüllt mich wieder. Meine Mutter lehnt an der Wand, die so hell ist wie ihre Kleider, die Hände um ein Tablett gekrampft, sie zittern ein wenig, und die Teegläser, in einem feinen Spinnwerk aus Silber gefasst, das aussieht wie die Spitze an Mutters Kleid, klirren, wenn sie aneinanderstoßen, die Flüssigkeit dampft und hüllt das Gesicht meiner Mutter in heißen Nebel. Sie trägt ihr glänzendes Schmuckwerk um den Hals und glänzende Perlen Schweiß im Gesicht, betrachtet ruhig meine Schwester und mich mit unserem Märchenbuch auf unseren Schenkeln. Meine Mutter sieht uns aufmerksam zu, wie wir uns um die schönen Bilder im Buch streiten, wie immer, jede will die Königin sein, jede die Prinzessin, und sie schmunzelt, weil sie weiß, wie unsinnig dieser Wunsch ist, und sie als Herrscherin so unantastbar, und sie versenkt ihre dünnen Finger mit sorgfältig gefeilten Nägeln in dem Schälchen Honig neben unseren Bratäpfeln und fährt nachdenklich darin herum, während wir uns an den Haaren reißen, im Gesicht kratzen, das Buch fällt von unseren Schenkeln auf den dichten dunkelroten Teppich, lautlos, und als unser Kampf ihr endlich genügend lange erscheint, stellt sie ihren Fuß auf das aufgeschlagene Buch. Stellt das Tablett langsam ab. Tritt auf uns zu. Hebt ihre Hand bedächtig, wie ein Bogenschütze den Bogen spannt. Hebt ihren Zeigefinger. Bohrt mit plötzlicher Bewegung ihren gespreizten langen Finger quer durch meine Brust.
Ich schreie, schreie und spüre die Haut reißen wie altes Papier, und sie sagt: »Die da bin ich! Ich!«
Während alles um mich dunkel wird, immer noch warm, mit einem Hauch Bratapfel unterlegt. Ich schüttle das Bild erneut von mir ab. Die Schlittenfahrt ist zu Ende. Ich setze mich gerade hin.
»Ich will nicht mehr an diesen Ort denken«, sage ich.
»Wer lebt denn an diesem Ort?«
»Meine Mutter lebt in dem Haus«, antworte ich widerwillig.
»Wer noch?«
»Meine Schwester. Wahrscheinlich.«
»Und Sie?«
»Ich habe nie dort gelebt. Dort kann man nicht leben.«
Das Thema ist für mich erledigt.
Ich möchte hier nicht mehr sitzen, der Drang, aufzustehen und den Raum zu verlassen, wird unerträglich groß. Ich nehme automatisch noch einen Schluck aus meinem Glas, ungewohnt ist es, keinen Lippenstiftrand daran zu hinterlassen wie ein Brandsiegel, das mein Revier markiert, und greife nach der Karaffe. Sie ist leer.
»Wie meinen Sie das?«, wiederholt er geduldig.
»Ich muss auf die Toilette«, sage ich.
Ich stehe
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