Die Erdfresserin
jetzt um Sie bemüht …«
»Ich habe nicht darum gebeten.«
Er lächelt erneut und hebt das Tässchen wieder, um noch einmal mit dem Löffel darin zu rühren.
»Ich glaube jedoch, dass es wichtig und richtig war.«
»Kann ich gehen«, sage ich. Es ist keine Frage.
»Sie können gern gehen«, sagt er zu mir und nippt an seiner Mokkatasse, schwarz mit Goldrand. Ich schweige störrisch weiter.
»Sie können gern gehen, wenn Sie mir glaubhaft versprechen können, dass ich Sie morgen wiedersehe, um fünfzehn Uhr. Hier.«
»Warum sollte ich«, schnappe ich zurück und schiebe das Wasserglas ruckartig von mir weg, Wasser schwappt über den Rand und bleibt als schwebende Pfütze auf der leeren Tischfläche zwischen uns liegen.
»Weil ich Sie sonst leider nicht gehen lassen kann«, lächelt er wieder.
Also wieder nur ein Trick. Ich kenne fast alle.
»Sehen Sie, ich will Sie nicht aufhalten, was immer Sie heute zu tun haben. Sie sind doch eine vernünftige Frau. Soweit ich weiß, haben Sie einer Behandlung zugestimmt. Sie haben mir das versprochen. Erinnern Sie sich?«
»Nein«, sage ich ganz ehrlich. Ich kann mich nicht daran erinnern, ihn jemals zuvor gesehen zu haben. Ich hätte alles versprochen, um von hier wegzukommen.
»Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen?«
»Vor zwei Tagen.«
»Und wie lang war ich …«
»Drei Wochen.«
Mir wird übel. Ich habe über drei Wochen in diesem Krankenhaus verloren, und meine Mutter hat wohl unzählige Male versucht, mich zu erreichen. Ich weiß, dass das Geld schon längst aufgebraucht ist, das ich ihnen zuletzt überwiesen habe. Ich habe nicht einmal etwas übrig, um sie anzurufen. Ich habe nur das wenige, das ich bei Nastja untergebracht habe, meine Tasche und mein Gewand. In Leos Wohnung komme ich nicht hinein, und alles, was noch dort ist, ist verloren. Ich atme pfeifend aus, die entweichende Luft klingt wie ein Schrei.
»Ich muss gehen. Sofort.«
»Sie sind viel zu schwach, um das Spital zu verlassen, das ist völlig ausgeschlossen. Abgesehen davon: In dem Moment, in dem Sie das Spital verlassen, werden Sie abgeschoben. Hier sind Sie in Sicherheit.«
Es entsteht eine lange, lange Pause. Meine Stimme gehorcht mir nicht mehr.
Die Dolmetscherin nützt die unerwartete Arbeitspause und sieht sich verstohlen im Taschenspiegel an.
»Was können Sie mir schon anbieten«, sage ich schließlich kaum hörbar.
»Viel.«
»Reden ändert nichts.«
»Ich kann Ihnen eine Stunde Ruhe anbieten. Nicht mehr und nicht weniger.«
Das Handeln von Stunden erinnert mich an meine eigene Arbeit, das Anbieten von geliehener Zeit und erkaufter Aufmerksamkeit, die unweigerlich ihren Preis hat, nur fällt meiner kontinuierlich mit meinem Alter, während seiner wohl steigt. Das ernüchtert mich recht schnell, und ich frage sachlich: »Was muss ich dafür bezahlen?«
Er lächelt wieder.
»Ich habe nichts.«
Ich kann nicht einschätzen, wie einstudiert oder aufrichtig dieses Lächeln ist, er ist durch den weißen Mantel und seine Brille geschützt und abgeschirmt von jenen, die hier zerknitterte Straßenkleider tragen wie ich.
»Wir sind ein gemeinnütziger Verein. Wir haben Sie schon zuvor behandelt, obwohl Sie nicht versichert sind, ja, wir nicht einmal Ihre Identität feststellen konnten. Wer zu uns kommt, bekommt die Hilfe, die er benötigt. Das habe ich Ihnen aber schon einige Male erklärt.«
Unser Wettkampf um die humanere Arbeit ist augenblicklich entschieden. Ich habe noch nie etwas umsonst getan.
Daraufhin muss ich, die ich schon aufgestanden bin, um das Zimmer zu verlassen, plötzlich weinen, es ist mir unerträglich peinlich, so sehr, dass ich mein Gesicht von ihm wegdrehen muss und das Taschentuch nicht annehmen kann, das er mir mit geübter Geste reichen möchte. Ich drehe mein Gesicht vorsichtig in eine Ecke des Raums hinein und wische meine Tränen in den Mauerputz. Er wartet ruhig.
»Bis morgen«, sage ich, sobald ich wieder sprechen kann, und verlasse den Raum eilig, ohne ihn noch einmal angesehen zu haben.
*
»Unser Haus war groß und sehr kalt«, erkläre ich. »Sie müssen das wörtlich nehmen.«
Er zieht eine Augenbraue hoch, sehr geübt macht er das, ein richtiger Fachmann. Immer, wenn ich mich dabei ertappe, seine Fachmännischkeit festzuhalten, stocke ich in meinem Erzählen. Die Worte lösen sich auf in Nebelschleier, die Bilder verblassen schneller, als ich sie beschreiben könnte.
»Was fällt Ihnen noch dazu ein«, versucht er mir fast
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