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Die Erdfresserin

Die Erdfresserin

Titel: Die Erdfresserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julya Rabinowich
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trägt altmodische graue Hosen und bequeme Schuhe, Gott hat spitze Knie und eigentlich hübsche lange Beine, die von einem Bäuchlein gekrönt werden. Gott hat keinen Ehering. Auf so etwas schaue ich als Erstes, denn man kann die Ringträger in zwei große Untergruppen ordnen, verlogen oder aufrichtig. Die einen haben eine Abmachung, die anderen montieren den Ring ab, kurz bevor es zur Sache geht, damit die Gattin nicht über die Schulter zusieht, wie ich mich mit ihren Pflichten abmühen muss.
    Er hat saubere, manikürte Finger, bar jeden Schmucks, sorgfältig gerundete polierte Nägel, weichgepflegte Haut. So etwas bekommt man nicht selbst hin, nicht auf der rechten Hand, da muss man sich helfen lassen.
    Er verschränkt seine sauberen Hände über dem satten Bäuchlein, legt den Kopf schief und hört mir zu. Ich mag das, wie er mir konzentriert zuhört. Ich brauche lange, um mir einzugestehen, dass ich geradezu darauf stehe, in diesen aufmerksamen Blick gefasst zu werden wie ein Edelstein. Meine Worte sind kostbar, meine Lügen und meine Geschichte haben Wert. Er hört genau zu, wenn ihm Unregelmäßigkeiten auffallen, weist er mich darauf hin, er fragt zur richtigen Zeit und meistens mit gut dosierter Weichheit in der Stimme.
    *
    »Grüß Gott.«
    »Grüß Sie Gott, Herr Doktor.«
    »Wie geht es Ihnen?«
    »Viel besser. Ich danke Ihnen.«
    Er lächelt. Ich bin geschmeichelt, ihm etwas Angenehmes sagen zu können, ihn zu bestätigen, er hat mir gutgetan, und er genießt es.
    »Das ist schön. Nicht.«
    »Wie geht es Ihnen, Herr Doktor? Ich habe Sie noch nie gefragt.«
    »Das ist nicht Thema hier«, lächelt er. »Aber es ist ein gutes Zeichen, dass Sie mich fragen.«
    »Sie wissen viel von mir«, sage ich. »Ich weiß gar nichts über Sie.«
    »Ich bin Ihr Arzt.«
    »Es würde mir leichter fallen.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Haben Sie wenigstens Kinder, Herr Doktor?«
    »Nein. Ich bin nicht verheiratet«, sagt er mit großer Selbstverständlichkeit. »Aber das tut hier nichts zur Sache.«
    »Aber wie sollen Sie mich denn verstehen, wenn Sie das alles nicht kennen«, wende ich ein.
    »Ich muss kein Mörder sein, um einen Mörder zu verstehen. Aber erzählen Sie mir doch bitte ein wenig über Ihr Kind.«
    »Ich würde lieber über Theater mit Ihnen reden.«
    »Erzählen Sie.«
    Ich spüre, dass mir etwas an der Situation nicht behagt, aber ich will diese Ruhe nicht gefährden, die mir angeboten wurde. Das Theater interessiert ihn wenig. Ich will mich noch ein wenig erholen lassen. Nicht mehr mit ihm kämpfen, er hat Ausdauer darin bewiesen.
    Er krault seinen kurzen Bart, während ich erzähle, manchmal beugt er sich vor und nickt, nickt bedächtig und notiert sich Sätze in sein dickes Buch, das aufgeschlagen auf dem Tischchen liegt.
    Plötzlich unterbricht er mich, nachdem er lange darin geblättert hat, während ich Premierenfeiern und Proben schildere, Betrug und Lampenfieber und die Eifersucht meiner Schwester, die kein einziges Mal meiner Einladung Folge leistete.
    »Sie haben einmal etwas von einem Golem erzählt, wissen Sie noch?«
    Ich stocke.
    »Das kann nur ein Irrtum sein«, lächle ich. »Ich weiß nicht, was das sein soll.«
    »Aber nein, sehen Sie, Sie haben mir ganz sicher von ihm erzählt. Das Wesen, das dem Befehl eines weisen Mannes folgt und seine Familie schützt.«
    »Herr Doktor, wie soll das möglich sein? Haben Sie etwa schon einmal einen weisen Mann gesehen?«
    Er sieht mich aufmerksam an und notiert schließlich mein Schweigen in sein Buch.
    Ich weiß, dass neben meiner viele, viele andere Geschichten täglich in dieses Buch eingetragen werden, dass er jede Stunde einem anderen Erzähler zunickt, mit dem immer gleichen Lächeln, aber ich will es nicht wissen. Manchmal vergesse ich es, manchmal ist es auch egal, solange ich nur meine Geschichte entwirren und wieder in mir zusammenrollen kann zu einem festen, leicht entwindbaren Knäuel Lebenswolle, mit dem er bereit ist zu spielen.
    Die Schwestern haben große Achtung vor ihm, und vor mir, weil ich seine Patientin bin. Ich genieße das. Niemand verachtet mich hier, obwohl ich bis vor einigen Wochen noch eine geifernde, Erde erbrechende Bestie gewesen bin, die sich mit wüstem Geschrei durch die Gänge bewegt hat, bis man sie einfing und ans Bett fesselte. Bis die Medizin anschlug.
    Vielleicht habe ich das aber nur geträumt.
    Vieles, das hier passiert, ist schwer von einem Traum zu trennen, das Gute, das Schreckliche, es wechselt sich ab,

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