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Die Erfinder des guten Geschmacks

Die Erfinder des guten Geschmacks

Titel: Die Erfinder des guten Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Zipprick
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Alter Ego heißt in Thackerays Roman Alcide Mirobolant (was so viel wie »fantastisch, sagenhaft« bedeutet). Dieser Alcide, ein französischer Koch, kleidet sich wie ein Pfau und ist vom weiblichen Geschlecht besessen.
    Doch tief in der grün-violett gekleideten Brust Soyers schlummerte ein gutes Herz. Tief innen schien er die Hungerjahre im heimischen Meaux nie vergessen zu haben. Während der großen Hungersnot in Irland entwickelte er 1847 eine funktionierende Suppenküche nebst passenden Rezepten. Ein Drittel der Iren war auf Kartoffeln als Nahrungsquelle angewiesen.Doch die Kartoffelernten wurden durch die Pflanzenkrankheit Phytophthora infestans stark dezimiert. Eine Million Iren starben zwischen 1847 und 1852, eine weitere Million wanderte aus.
    Soyer kämpfte auf seine Art gegen die Not und kochte für die Massen. Bis zu 5000 Hungernde soll er in Dublin pro Tag bekocht haben, während die Londoner Aristokratie spottete, seine »Suppe für die Armen« wäre in Wahrheit eine armselige Suppe. Die Bilder seiner verstorbenen Frau stellte er in »Soyers philanthropischer Galerie« aus. 1847 schrieb er Soyer’s Charitable Cookery , gefolgt von The Poorman’s Regenerator (1848) und The Modern Housewife (1849) sowie 1855 das Shilling Cookery Book for the People . Oder vielmehr: Er ließ schreiben. Soyer diktierte, denn seine Kenntnisse der Schrift waren lebenslang auf das Französische begrenzt.
    Gut und günstig kochen, das war sein Thema. Ein Thema, das für Bestseller-Auflagen im sechsstelligen Bereich sorgte, und das zu einer Zeit, als viele Menschen weder lesen noch schreiben konnten. Anders als seine Zeitgenossen widmete er sich in der Mehrzahl seiner Publikationen nicht der Verfeinerung der Haute Cuisine, sondern der Vulgarisierung der Küche. Dabei bekamen auch die Leser manches Mal ihr Fett ab:
    »Die arbeitenden Klassen der kommerziellen Bezirke von Yorkshire verdienen sehr gute Löhne, aber gleichzeitig arbeiten sie sehr hart; ihre Unwissenheit in der Wissenschaft des Kochens ist bedauerlich, und ohne Prahlerei, Eloise, muss ich sagen, dass ich diesen Menschen ein wenig bei der Verbesserung ihrer Lebensbedingungen geholfen habe, denn drei Viertel der Ehefrauen dieser fleißigen Klasse sind völlig frei von jeglicher Kenntnis der Hauswirtschaft. Kochen ist fast unbekannt, aber ich muss sagen, dass sie lernbereit sind […]«
    Als Soyer diese Zeilen für sein Shilling Cookery Book for the People verfasste, hatte er selbst schon den bitteren Brei des Misserfolges gekostet.
    Nachdem er 1850 auf eigenen Wunsch den Reform Club verließ, widmete er sich zunächst der Vermarktung von »Soyer’s Sauce«, ein Massenprodukt, das auch Menschen erwerben konnten, die keine Chance auf eine Mitgliedschaft im Club hatten, vertrieben von Crosse & Blackwell. Fast gleichzeitig mietet er das »Gore House« auf dem Gelände der heutigen Royal Albert Hall. Zur Weltausstellung ein Jahr später wollte er das Publikum im eigenen Lokal verwöhnen, das in aller Bescheidenheit den Namen »Soyer’s Universal Symposium to all Nations« trug. Das universelle Symposium für alle Nationen war ein Themenrestaurant mit extravagant dekorierten Räumen mit noch extravaganteren Namen wie die »Grotte des ewigen Schnees«. Gestaffelte Menüpreise für jedes Portefeuille sollten 5000 Menschen täglich ins Haus ziehen. Doch die Bewirtung der Massen aller Klassen ging schief, nach nur drei Monaten musste Soyer das Lokal mit 7000 Pfund Verlust schließen – immerhin sieben seiner Jahresgehälter.
    In den kommenden Jahren widmete er sich der Promotion seiner Bücher, seiner Saucen und seines laut Eigenwerbung »magischen« Herdes, eigentlich ein kleiner Tisch-Herd. Gelegentlich veranstaltete er Bankette und machte es zur Bedingung, dass eventuelle Reste den Bedürftigen übergeben wurden.
    Einmal noch nahm Soyers Leben eine überraschende Wendung. Um 1855 häuften sich in der britischen Presse die Berichte über das Leiden der Soldaten im Krim-Krieg. Die Briten starben nicht nur durch Feindeshand, sondern auch durch Nahrungsmittelvergiftung, waren geschwächt durch Fehlernährung. Alexis Soyer erklärte sich kurzerhand persönlich für das leibliche Wohlergehen der Soldaten verantwortlich. Während adligeFreunde ihn mit einer Art Freibrief ausstatteten, der es ihm erlaubte, »Missstände zu korrigieren«, bastelte er schon an »Soyers Feldherd«, der es erlauben sollte, Mahlzeiten unter schwierigen Bedingungen zuzubereiten. Soldaten konnten ihn

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