Die Erfinder des guten Geschmacks
Marseillaise anstimmte. Die Revolutionäre seien von Soyers Sangeskünsten derart angetan gewesen, dass sie ihn prompt auf Händen trugen. Nun beruht das meiste, was wir von Soyer zu wissen glauben, auf der Biografie Memoirs of Alexis Soyer , verfasst von seinen Privatsekretären Volant und Warren, die ihr Buch sehr zeitnah zum Ableben ihres Arbeitgebers veröffentlichten.
Sollte die Version mit den beeindruckenden Sangeskünsten tatsächlich zutreffend sein, dann haben die Revolutionäre den Koch wahrscheinlich bis in die Normandie getragen und auf ein Schiff geschmissen.
Denn wenig später, im Jahr 1831, arbeitete Alexis Soyer in England. Offiziell wollte er der politischen Instabilität entkommen. In Paris gab es allerdings Gerüchte, dass eine junge Dame das Kind des großen Kochs erwartete, worüber der werdende Vater nicht übermäßig glücklich war. Adele Lamain hieß die Dame, der Koch erkannte den gemeinsamen Sohn Jean Alexis erst 25 Jahre später an.
Sein Bruder Philippe arbeitete bereits für den Duke of Cambridge, selbstverständlich trat Alexis auch in die Diensten des Adligen ein. Ob wegen seiner Küche oder wegen seines Charmes – der junge Soyer wurde zu einem beliebten Koch diverser Fürstenhäuser. Im Jahr 1837 heiratete er die Künstlerin Elizabeth Emma Jones, die schon als Zehnjährige ihre Werke in der Royal Academy ausgestellt haben soll.
Dann erhielt Alexis Soyer das Angebot, die Küchen des Reform Club zu übernehmen. Letzterer war nicht einfach ein Versammlungsort britischer Gentlemen, sondern avancierte baldzum Prototyp des Clubs überhaupt. Sir Arthur Conan Doyle war dort später ebenso Mitglied wie Sir Winston Churchill. In Jules Vernes Roman In 80 Tagen um die Welt schließt Protagonist Phileas Fogg mit den anderen Mitgliedern des Reform Club seine folgenschwere Wette bezüglich der Dauer seiner Umrundung des Globus ab.
Zu Soyers Zeiten jedoch stand der Reform Club erst am Anfang. Gemeinsam mit dem Architekten Sir Charles Berry entwickelte er die Hightech-Küche der Viktorianischen Ära, angetrieben von einer – Weltneuheit der Küchentechnologie! – Dampfmaschine mit nicht weniger als drei Pferdestärken. Sie pumpte Wasser und trieb die Drehspieße an. Vorfahren unserer Kühlschränke wurden durch geeistes Wasser auf die richtige Temperatur gebracht. Auch die Temperatur der neuen Gasherde war regelbar. Angeblich veranstaltete Soyer regelrechte Führungen durch dieses neue Küchen-Wunderland. Zur Krönung von Königin Viktoria veranstaltete er ein Frühstück für 2000 Personen im Club. Mit gerade mal 28 Jahren war der junge Koch auf dem Höhepunkt seines Ruhms, sein Jahresgehalt betrug die damals für einen Koch astronomische Summe von 1000 britischen Pfund.
Soyer kleidete sich wie ein Dandy, das Weiß der Köche lehnte er ab.
Historiker wie Alain Drouard glauben übrigens, dass schon die Dürer-Zeichnung Der Koch und sein Weib eine Uniform zeigt. Im Jahr 1549 jedenfalls verbot ein königliches Edikt den Handwerkern die – bunten – Seidenstoffe. Weiße Stoffe waren günstig, denn sie mussten nicht gefärbt werden. Wir wissen von Bildern, etwa Le Cuisinier et le chat und einer weiteren Serie von Augustin Théodule Ribot, dass Köche damals Weiß trugen und die Uniform fast so aussah wie heute. Der Legende nach hatCarême sie erfunden. So können wir davon ausgehen, dass sich die Köche Anfang des 19. Jahrhunderts in Weiß kleideten. Doch stattdessen trug Soyer bestickte Seidenanzüge in Grün und Violett, genäht auf eine Art, die er Dressing à la zoug-zoug nannte. Seine Schneider mussten dafür horizontale und vertikale Linien vermeiden und »zickzack« schneiden oder Rauten nähen. Auch seine Visitenkarte hatte die Form einer Raute, selbst seine Hüte waren so gefertigt, dass sie stets schräg auf dem Kopf saßen. Zeitgenossen erklärten, dieser Mann sei der Schrecken seiner Schneider und Hutmacher gewesen.
Nachdem seine Frau Emma 1842 im Kindbett verstarb, begann Soyer eine Liaison mit der Primaballerina Fanny Cerrito – übrigens die Urgroßmutter des Schauspielers Jean-Paul Belmondo.
Mitte des 19. Jahrhunderts waren Köche eigentlich Hauspersonal, beliebig austauschbar. Soyer war nicht nur stolz darauf, diesen Status hinter sich gelassen zu haben, er wollte auffallen um jeden Preis, sein Ruhm, sein Reichtum und sein Erfolg sollten für jeden sichtbar sein.
Der Autor William Makepeace Thackeray sicherte ihm mit Pendennis einen Platz in der Literatur. Soyers
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