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Die Erfinder des guten Geschmacks

Die Erfinder des guten Geschmacks

Titel: Die Erfinder des guten Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Zipprick
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belagert. Zwar hatte die Obrigkeit vorgesorgt, in Paris weideten jetzt Schafe und Rinder, es gab eine Schweinezucht intra muros, doch mit einer langen Belagerung hatte niemand gerechnet: Am 48. Tag, dem 7.11.1870, eröffnete vor dem Rathaus ein Rattenmarkt. Ein ausgenommener Nager kostete 75 Centimes. Am 75. Tag der Belagerung trafen sich die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften, um den Geschmack von Katze, Hund, Pferd und Ratte zu vergleichen. Die Ratte ging aus diesem Duell als Sieger hervor. Auch Pferde wurden geschlachtet. Selbst von Zootieren kam das Fleisch, und für Castor und Pollux, die Elefanten des Zoos von Vincennes, wurde sogar ein Großwildjäger bestellt. Schließlich servierte der Küchenchef Choron am 25. Dezember 1870 im Café Voisin, 261 Rue Saint-Honoré, einem der edelsten Restaurants der Kapitale, ein kurioses Menü:

    Hors d’oeuvre
    Butter, Radieschen, gefüllter Eselskopf, Sardinen

    Suppen
    Püree von roten Bohnen mit Croûtons
    Elefantenconsommé

    Entrées
    Frittierte Gründlinge, Kamel gebraten nach englischer Art
    Kängururagout
    Gebratene Bärenrippen mit Sauce Poivrade

    Braten
    Wolfskeule in Wildsauce
    Katze flankiert von Ratten
    Kressesalat
    Antilopenterrine mit Trüffeln
    Steinpilze Bordeleser Art
    Erbsen in Butter

    Entremet
    Reiskuchen mit Konfitüren

    Dessert
    Gruyère-Käse
    Ob es den Gästen mundete, ist nicht bekannt. Die Weine zumindest werden sie nicht verschmäht haben. Serviert wurden Sherry, Latour Blanche 1861, Château Palmer 1864, Mouton-Rothschild 1846, Romanée Conti 1858 und Portwein von 1827.
    Alexandre Dumas war am 5. Dezember 1870 nahe Dieppe in der Normandie verstorben. Das Elefantenmenü hat er nicht mehr erlebt – anders als die kriegsentscheidende Niederlage in Sedan am 1. September 1870, bei der Kaiser Napoleon III. in Gefangenschaft geriet.
    Auf der anderen Seite, beim preußischen Kaiser Wilhelm I., speiste man selbstverständlich französisch. Urbain Dubois (1818-1901) hieß sein Küchenchef. Gelernt hatte der junge Mann aus der Umgebung von Aix-en-Provence in den ersten Pariser Adressen seiner Zeit, bei Magny, im Café Anglais, der Maison Dorée, Very und dem Rocher du Cancale, dem Treffpunkt von Grimod de la Reynière und seiner Essens-Jury.
    In den Fünfzigerjahren des 19. Jahrhunderts stand Dubois in Diensten des russischen Prinzen Orloff, als er die Einladung nach Berlin bekam. Fortan bekochte er also Kaiser Wilhelm I. mit Seezungenpastete nebst Austern, Täubchen in Krebsbutter oder Wachteln nach Art von Périgueux mehr als 20 Jahre lang, wenn auch mit einer kurzen Unterbrechung: Als der Deutsch-Französische Krieg ausbrach, tauschte er seine Küchenkluft gegen die Uniform Frankreichs, wurde verwundet und kehrte pflichtgemäß gegen finanzielle Kompensation nach Ende der Konflikte zu seinem Arbeitgeber zurück. Zeitzeuge Victor Tissot, ein Schweizer, berichtete 1876 in seiner Voyage aux pays des milliards von der Stellung Urbain Dubois’ bei Hofe:
    »Dieser Koch […] ist eine wichtige Person, ist der wahre Minister des Inneren des mächtigen Reiches, denn wenn der Kaiser gut gegessen hat, erhalten Soldaten Urlaub, Lakaien neue Hosenund die Bischöfe im Gefängnis eine Portion Linsen. Frankreich kann stolz darauf sein, den illustren Küchenjungen, der auf den Namen Urbain Dubois hört, hervorgebracht zu haben […] Nach dem Krieg probierte seine Majestät, deren Beziehung zum Koch erkaltet war, die deutsche Küche, doch sein Magen revoltierte gegen die Auswüchse des Patriotismus und eine Brücke aus Gold wurde zu Herrn Dubois gebaut, um ihn zu bewegen, zur Küche zurückzukehren. Der Kaiser ist nicht gierig: Er liebt einfache, aber gut gemachte Küche, die ›klassische Küche‹, und er liebt vor allem ›wirtschaftliche Küche‹. Der geniale Dubois hat einen Weg gefunden, um dieses schwierige Problem von Qualität und Preis zu lösen.«
Die »schöne Zeit«
    Nach dem verlorenen Krieg fand Frankreich mitsamt seiner Gourmets und Gourmands schnell zu alter Lebensfreude zurück. La Belle Époque , frei übersetzt »die schöne Zeit«, heißen die Jahre von 1890 bis 1914, deren feierfreudige Zeitgenossen den Restaurants der Kapitale eine Blütezeit bescherten: Maxim’s, Le Train bleu, Lucas, Ledoyen, Fouquet’s, La Grande Cascade, Le Pré Catalan […] da traf man sich auf eine Bouteille de Champagne oder mehr. Was damals auf die Tische kam, ist heute so in Vergessenheit geraten wie die überaus beliebten Lokale Larue, Chez Durant

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