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Die Erfinder des guten Geschmacks

Die Erfinder des guten Geschmacks

Titel: Die Erfinder des guten Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Zipprick
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gewährte die erste sozialistische Regierung erst 1936 nicht weniger als 14 Tage bezahlten Urlaub!
    Auf dem französischen Mont-Saint-Michel, damals eine Insel im Ärmelkanal mit einer imposanten Klosteranlage, erkannte eine Dame namens Annette Poulard (1851-1931), dass Gäste zu jeder Uhrzeit gut bewirtet werden wollten. Trotz einer Eisenbahnverbindung zwischen Paris und Granville blieben die letzten Meter mit dem Boot ein kleines, aber lohnenswertes Abenteuer. Mutter Poulard servierte ein schnelles Gericht, dessen Zubereitung sie perfekt beherrschte. Ein Omelett, zubereitet in einer langstieligen Pfanne über offener Flamme auf trockenem Holz. Ihr Pfannkuchen galt bald als der beste der Welt. Deren Große, darunter Präsident Clemenceau und König Leopold II. von Belgien, pilgerten als Touristen zur Auberge, um das Gericht zu verkosten. Scherzhaft sagte man, hungrige Esser würden sich bei unruhigem Wetter in den Ärmelkanal werfen, um Mutter Poulards gute Stube vielleicht schwimmend zu erreichen. Der Erfolg brachte etliche Neider und noch mehr Spekulationen bezüglich des Omelett-Rezepts, von denen einige im Buch La Mère Poulard (1932) des Dorfpfarrers Emile Couillard wiedergegeben werden. Mal hieß es, Madame würde zusätzliches Eiweiß unterrühren, dann wieder sollte ein Schuss Sahne das Geheimnis sein. »Das mit der Sahne ist Blödsinn. Wir nehmen salzige Butter undlassen sie schmelzen. Die Eier dürfen nicht kalt sein. Und das Omelett muss sanft gegart werden.« Regelrecht perplex machte sie die Vermutung mit der zusätzlichen Portion Eiweiß: »Wieso hätte ich da ganze Eigelb verschwenden sollen?«
    Hauptsache prachtvoll: Diese Speisen wurden von Urbain Dubois und Emile Bernard am preußischen Hof serviert.
    Lachs königlicher Art, Rind in Gelee, Schinken und kalte Pute Pariser Art präsentiert von Küchenchef Urbain Dubois.

6. D ER S IEGESZUG DES T OURISMUS
    Es ist wirklich eine Schande: »Paris ist mit Wracks von Restaurants übersät, und viele der Lokale mit großen Namen aus der Zeit unserer Väter und Großväter sind jetzt nur ›tavernes‹ oder preiswerte ›table-d’hôte‹-Gaststätten.« Man kann es nicht leugnen, die Institutionen sind ein Problem in der Stadt an der Seine. Dabei gilt auch: »Paris ist das kulinarische Zentrum der Welt. Alle großen Missionare des guten Kochens kamen von hier, und seine cuisine war, ist und wird der höchste Ausdruck einer der größten Künste der Welt sein. Die meisten guten Köche kommen aus dem Süden von Frankreich, die meisten der guten Zutaten kommen aus dem Norden. Sie treffen sich in Paris […]«
Ein Restaurantführer von Portugal bis Russland
    Die beiden Briten Lieutenant Colonel Newnham-Davis (1854-1917) und Algernon Bastard, die sich so kritisch über die Pariser Restaurants ausließen, hatten sich durch ganz Europa gefuttert, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Sie waren in der Bretagne und in Moskau, in Jerez, Malmö und St. Petersburg, in Bilbao, Athen und Palermo. Bevor Newnham-Davis und Algernon Bastard die einzelnen Restaurants teilweise in epischer Länge und mit nahezu kompletter Speisekarte beschrieben, widmeten sie sich der kulinarischen Szene der Länder und Städte – und schonda ging es kritisch zur Sache: die Niederlande? »Die cuisine des Landes, die alltägliche Nahrung der Leute des Landes ist als Essen für den erfahrenen Gourmet nicht empfehlenswert.« Die belgische Hauptstadt Brüssel? Sie »muss eine fröhlichere Stadt als das Brüssel von heute gewesen sein, als es den Titel des ›kleinen Paris‹ erwarb […] Hier muss der Lucullus der Jetztzeit in Seitenstraßen und entlegenen Ecken suchen, um die besten Küchen und Keller zu entdecken.« Deutschland? »In den kleinen Hotels der Provinzstädte werden die Mahlzeiten zu den Zeiten angeboten, an denen der Mittelklassedeutsche des Nordens sie normalerweise einnimmt. Sie sind eine minderwertige Kopie der Kost, die er in seinem eigenen Haus erhält.« Immerhin, auf der Iberischen Halbinsel tut sich was. In Barcelona etwa: »Die geschäftige Kapitale von Katalonien verfügt über bessere Restaurants als jede andere Stadt in Spanien, Hauptstadt inbegriffen.«
    Nathaniel Newnham-Davis und Algernon Bastard hatten für ihren Gourmet’s Guide to Europe viele, vornehmlich britische Reisende befragt und mit ihnen kulinarische Erfahrungen ausgetauscht. Eines aber taten sie gewiss nicht: andere Gourmet-Führer kopieren. Der Grund dafür ist einleuchtend. Es gab keine. Der

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