Die Erfinder des guten Geschmacks
und Weber. Um die Jahrhundertwende musste es Fleisch sein. Fleisch unterschied die Reichen von den Armen, denn Erstere aßen es täglich, Letztere nur einmal pro Woche und ernährten sich sonst genau wie im Mittelalter von Suppe und Brot. Ein gewisser Protopopoff, seines Zeichens Wodka-Fabrikant, konnte während eines Abends im Maxim’sproblemlos eine Côte de Bœuf von vier Kilo vertilgen. Bananen eroberten langsam die Desserttische, Endivien gesellten sich zum Salat. Und die Haute Cuisine dieser Zeit? Ins Überflüssige verliebt wie die Innenarchitektur. Ein gutes Beispiel ist die Seezunge Albert aus dem Maxim’s: Brotkrumen erstreckten sich über den Seezungenleib, der auf einem Bett aus Schalotten und Kräutern ruhte. Bestens mit Wermut angefeuchtet, wurde das Ganze gratiniert und warm gehalten, bis sich der Wermut fast verflüchtigte. Die Rückstände montierte man anschließend mit reichlich Butter zur Sauce auf. Nichts für Kalorienbewusste und Leute, die nach dem Essen noch arbeiten mussten.
Dumas, Rossini, Gouffé, Dubois und die großen Köche der Mitte des 19. Jahrhunderts ignorierten jedoch zwei Neuerungen, die Küche und Restaurants mehr verändern sollten als die Französische Revolution. Da war zunächst das Aufkommen der Lebensmittelindustrie: Der Deutsche Justus von Liebig entwickelte 1852 ein »Fleischinfusum«, den Vorläufer des Fleischextrakts. Hippolyte Mège-Mouriès, Apotheker aus dem französischen Draguignan, ließ 1869 die Margarine patentieren. Knorr verkaufte 1873 die ersten »Trockensuppen«. Dr. Wilhelm Haarmann und Ferdinand Tiemann synthetisierten 1874 erstmals Vanillin aus dem Rindensaft von Fichten. 1884 brachte der Schweizer Julius Maggi das erste Leguminosenmehl auf den Markt.
Alle handelten aus besten Absichten: Justus von Liebig wollte mit dem Fleischinfusum die Tochter eines Freundes retten, die keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen konnte. Hippolyte Mège-Mouriès’ Ziel war die Entwicklung eines preiswerten Butterersatzes für die Armee. Julius Maggis Wunsch war es, ein preiswertes, nährstoffreiches Nahrungsmittel zu entwickeln, das die arbeitende Bevölkerung günstig und gesund ernährte. Keinervon ihnen kann dafür haftbar gemacht werden, dass geschäftstüchtige Menschen später ihre Ideen nutzten, um industriellen Essensersatz zu schaffen.
Im 19. Jahrhundert begannen die Menschen zu reisen. Der Tourismus entstand. 1828 verlegte Karl Friedrich Baedeker seinen ersten Reiseführer, während ein gewisser Thomas Cook 1841 die erste Gruppenreise organisierte. Europa-Touren folgten 1855, britische Kunden reisten mit Cook nach Brüssel, Köln, Heidelberg, Baden-Baden, Straßburg und Paris.
Reise-Pioniere waren die Briten, die sich schon Anfang des 19. Jahrhunderts auf der Flucht vor britischer Winterkälte an der Côte d’Azur tummelten. Im Jahr 1823 spendierten Urlauber den darbenden Fischern von Nizza gar einen zwei Meter breiten Pfad, der später Promenade des Anglais , »Spazierweg der Engländer«, genannt wurde. Heute ist er die wichtigste Verkehrsader der Stadt und damit um einiges breiter.
Die Eisenbahn machte Reisen auch dem gehobenen Mittelstand möglich. Während die 1835 eröffnete Strecke »Nürnberg-Fürth« noch von Pferdebahnen gezogen wurde, verkehrten dampfgetriebene Eisenbahnen ab 1837 zwischen Leipzig und Althen. Im Jahr 1885, kurz nachdem Urbain Dubois seine Berliner Küchenschürze definitiv an den Nagel gehängt hatte, verzeichnete man in Deutschland mehr als 39 000 Kilometer Eisenbahnlinien. In Großbritannien waren es etwa 30 300, in Frankreich 29 600 und in Russland mehr als 25 000 Kilometer.
Neben dem Fortbewegungsmittel benötigten die Reisenden eine entsprechende Infrastruktur. In Wien eröffnete das Hotel Sacher bereits 1876. Kurz nach der Jahrhundertwende verfügte fast jede europäische Metropole über eine oder mehrere Adressen für anspruchsvolle Gäste.
Reisen waren ein Privileg. Denn trotz Hotels und Eisenbahnfehlte der arbeitenden Bevölkerung etwas ganz Essenzielles, um zu Touristen zu werden: die Zeit. Selbstverständlich gab es damals keinen Jahresurlaub. Zwar erlaubten einzelne Betriebe schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts drei bis sechs Tage Abwesenheit pro Jahr. In Deutschland wurde die erste tarifvertragliche Urlaubsregelung 1903 in Stuttgart und in Thüringen vom Zentralverband deutscher Brauereiarbeiter erreicht. Dessen Mitglieder durften sich fortan über drei freie Tage pro Jahr freuen. In Frankreich
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