Die Erfinder des guten Geschmacks
Jahrhunderts organisierten sich die Köche, wollten eine wirkliche Ausbildung entwickeln. Sie bezeichneten sich als »Mediziner des Magens« und praktizierten eine gewisse Frauenfeindlichkeit. Schon 1883 hieß es in der Revue Art Culinaire , dass Frauen keine Haute Cuisine kochen könnten. Aber Haute Cuisine war damals eine fast architekturartige Kochkunst, eher zum Anschauen als zum Essen gedacht. Kurz: Die Männer hielten sich für Künstler, die Frauen kochten rustikal.
Geschlechterübergreifend gesehen waren die ersten Schritte in der Kochausbildung nicht sehr erfolgreich. Im Jahr 1892 musste die École professionnelle de cuisine et des sciences alimentaires nach nur einem Unterrichtsjahr schließen. Die Köche weigerten sich, ihre Lehrlinge dort hinzuschicken, weil sie die günstigen Arbeitskräfte nicht verlieren wollten. Für Frauen stand laut Alain Drouard eine simple Küche mit »unseren Nationalgerichten« auf dem Lehrplan. Und das Nationalgericht par excellence war das Pot au Feu. Ausdrücklich war den Damen die »Hausfrauenküche« vorbehalten, die man als simplifizierte Kochkunst ansah.
Einer der größten Frauenfeinde am Herd war Philéas Gilbert (1857-1942), ein Schüler Bonvalets, der mit Escoffier am Guide Culinaire arbeitete.
»Einige haben gesagt, dass die Küche eine Domäne der Frauen sei«, erklärte er. »Ich gebe das zu einem gewissen Grad zu […] denn es gibt Küche und Küche und wir sollten den Hausfrauen nicht das Pot au Feu und den traditionellen Hammeleintopfaberkennen. Dort sollte die Mehrzahl der Köchinnen bleiben und sich nicht anmaßen, sich in unsere Arbeit einzumischen, die zu anstrengend für die Konstitution der Frauen und zu weitreichend für ihr Wissen ist und die sie nur, egal was sie tun, sehr unvollkommen, ich würde sogar sagen schlecht imitieren können.«
So klang Gilbert an seinen frauenfreundlichen Tagen. An anderen empfahl er dem Gesetzgeber, den Frauen mit drakonischen Gesetzen für immer den Zugang zu »unseren öffentlichen Institutionen, den Restaurants« zu verwehren.
Mit Argumenten, die man teilweise heute noch vernehmen kann, wurde Frauen der Zugang zur Haute Cuisine verschlossen: »Das Metier ist hart, das Feuer der Öfen zu heiß. Frauen können nicht kreieren und verstehen nichts vom Wein.« Erschwerend kam hinzu, dass es angeblich im Französischen keine weibliche Form des Worts gourmet gibt, was allerdings nicht ganz zutreffend ist: 1929 kreierte Madame Ettlinger, die Frau eines Centiste (eines Mitglieds des Feinschmeckervereins Club des Cent), den Cercle des gourmettes , nicht ohne sich über die Frauenfeindlichkeit der Gastronomen zu beschweren.
Laut Historiker Alain Drouard verbarg sich hinter der offenkundigen Frauenfeindlichkeit von Gilbert und Konsorten ein konkreter Grund: die Angst vor der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Denn es gab, wie gesagt, viel mehr Köchinnen als Köche in den bourgeoisen Haushalten.
In gewisser Weise bauten die Herren der Schöpfung die Haute Cuisine zu ihrer Bastion aus, um sich vor weiblicher Konkurrenz zu schützen, denn wie zeitgenössische Quellen behaupteten, konnten Frauen niemals die hohe Kochkunst erlernen.
Dass es durchaus unter den Frauen Küchengenies gab, verrät uns die Literatur: Curnonsky schwärmte von der Küche derMarie Chevalier. Marcel Proust setzte der Köchin Françoise und ihrem kalten Rindfleisch mit Karotten in Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ein literarisches Denkmal, bezeichnete sie gar als »Michelangelo unserer Küche«.
Das Lyon der Dreißigerjahre repräsentierte einen Zustand der Gleichberechtigung, dem ausgerechnet die Nouvelle Cuisine ein Ende setzte. Diese fiel zwar mehr oder minder zeitgleich mit der Emanzipationsbewegung in Frankreich zusammen, war jedoch nicht nur eine Küchenentwicklung, sondern auch – und vielleicht vor allem – ein soziologisches Phänomen. Es kam zum gesellschaftlichen Aufstieg des Kochs, die Medien entdeckten die Köche und eine Gruppe von Anführern proklamierte Kreativität über alles – das alles wurde vermarktet durch die kommerzielle Strategie des charismatischen Paul Bocuse.
Die »Helden« der Nouvelle Cuisine heißen in Frankreich auch »die Bande von Bocuse«. Trotz des Lyoner Intermezzos blieb die große Küche eben ein Männerbund. Nicht nur militärisch organisiert, sondern oft mit einer Berufsauffassung, die einer Söldnergruppe zur Ehre gereichen würde: Kein echter Mann am Herd ließe jemals »die Brigade im Stich«, mit
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