Die Erfinder des guten Geschmacks
Schreiben über Kochen Literatur?«
Der 120-Kilo-Mann war im Nebenberuf außerdem Humorist und hinterließ eine Reihe von Aphorismen: »Das Geheimnis der Gesundheit ist maßvolles Praktizieren aller Exzesse und nonchalanter Boykott jeden Sports.« Auch Köche fürchteten seine scharfe Zunge, was folgender Eintrag in einem Gästebuch beweist: »Wäre die Suppe so warm gewesen wie der Wein, der Wein so alt wie die Poularde und die Poularde so fett wie die Frau des Hauses – dann wäre dies fast ein gutes Essen gewesen.«
Ein sinnenfreudiger, aber nachdenklicher Mann, der heute noch in Frankreich und Japan einen Ruf wie Donnerhall besitzt. In Bordeaux und Paris verfügen Restaurants wie Le Grand Véfour heute noch über Prince Cur -Tische mit Namensplakette. Prince Cur ist gewissermaßen das Pseudonym des Pseudonyms.
Curnonsky stand für einfache, gute Küche, seinen sprichwörtlichen Satz vom »Kochen, wie der Vogel singt« hatte er überdie Köchin Marie Chevalier geschrieben. Das Lyon der Mütter war für ihn 1934 die »kulinarische Hauptstadt der Welt«.
Den Zweiten Weltkrieg verbrachte er bei der bretonischen Köchin Mélanie Rouet, die eine Auberge bei Riec-sur-Belon in der Bretagne bekochte. Courtine, ein Schüler von Curnonsky, half später bei der Gründung der Association des Cuisinières Restauratrices , der »Vereinigung der Köchinnen und Restaurantbesitzerinnen«.
Die Zeit der »kochenden Mütter« endete nicht mit Mère Brazier.
Da gab es das Bistro der Grande Marcelle mit Lyoner Salat, Kalbsleber, Wurst, Kutteln und regionalen Spezialitäten ebenso wie das Chez Léa von Léa Bidaut, berühmt für Makkaroni-Gratin, Ente in Blutsauce und eine Lammkeule, die 24 Stunden in einer Mixtur aus Senf, zerdrückten Anchovis, Salbei, Basilikum und Knoblauch ruhte, bevor sie in den Ofen wanderte.
Die letzte Mutter von Lyon war Paulette Castaing, geboren am 14. März 1911 in Nîmes. Eigentlich stand ihr Restaurant in Condrieu, aber das kommt in der Region fast auf dasselbe heraus. 1946, nur ein Jahr nach dem Zweiten Weltkrieg, hatte sie mit ihrem Mann ein altes Fischerhaus mit Garten und Terrasse gekauft. Das wurde mit der Zeit immer besser, die Lyoner liebten ihre Spezialitäten auf Basis der lokalen Süßwasserfische. Forelle blau und Matrosengericht vom Aal machten sie bekannt. Die Aale stammten aus der nahen Rhône und wurden lebend eingekauft. Krebse und frittierte Seezungenstreifen dekorierten das Gericht. Ihre beiden Michelin -Sterne hielt Mutter Paulette von 1963 bis 1988.
Zu ihrem 100. Geburtstag 2011 kamen prominente Gäste, so auch ihr Nachbar Paul Bocuse und ihr Schüler Alain Alexanian, der sie wirklich wie eine Mutter behandelte: »Wenn man beiihr gelernt hatte, dann konnte einem nichts mehr passieren.« Gleichzeitig bedauerte er, dass die Klassik von Mutter Paulette heute nicht mehr existierte.
Sicher, das Repertoire der »Mütter« war beschränkt. Keine fühlte sich gezwungen, jeden Tag ein neues Gericht zu kreieren. Alle Köchinnen kamen aus bescheidenen Verhältnissen, alle hatten eine harte Lehrzeit hinter sich. Doch nach Ansicht von Zeitzeugen waren ihre schlichten Restaurants die besten, die es damals gab.
Die Architektur-Küche, gelobt von Carême und vereinfacht von Escoffier, kam zumindest in Lyon aus der Mode. Zwischen den Weltkriegen wandten sich die dortigen Feinschmecker einer natürlicheren, produktbewussteren Küche zu. Das war die Stunde der Frauen.
Die Dreißigerjahre schufen, zumindest in Lyon, ein Matriarchat der Cuisine, dessen Ruf noch heute nachklingt.
Frauen raus!
Leider war dies das »letzte Aufgebot« der Spitzenköchinnen der Grande Nation.
Die Position der Frauen am Herd hatte sich während des 19. Jahrhunderts kontinuierlich verschlechtert. Laut dem Pariser Historiker Alain Drouard gab es damals zwar wesentlich mehr Frauen als Männer am Herd. Sie gehörten jedoch zum Hauspersonal, auch wenn sie teilweise hervorragend kochten. Schließlich hatten sie das Wissen ihrer Mütter geerbt. Das 19. Jahrhundert war die Epoche der Cordon bleus , der exzellenten Köchinnen. Und ein Cordon bleu ist im Französischen kein Käseschnitzel, sondern ein »blaues Band«. Noch heute lautet einfranzösisches Kompliment für eine gute Köchin: »Sie sind ein richtiger Cordon bleu.«
Die Köchinnen arbeiteten in Haushalten, die Männer in Restaurants. Carême, einer der allergrößten Köche, war wie die Frauen Hauskoch bei den Rothschilds. Erst in der zweiten Hälfte des 19.
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