Die Erfinder des guten Geschmacks
guter Bekannter von Hermann Göring war der Berliner Gastronom Otto Horcher. Die beiden kannten sich noch aus Zeiten, als Göring gerade erst bei den Nationalsozialisten um einen Listenplatz für die Wahl buhlte. Horchers Restaurant war unter anderem berühmt für Wildgerichte.
Horcher machte Göring mit der großen Gesellschaft Berlins bekannt, der revanchierte sich in Kriegszeiten. Das Pariser Maxim’s konnte Horcher noch auf Wunsch der Besitzerfamilie Vaudable verwalten.
Das Lokal Zu den drei Husaren wurde hingegen arisiert, von der gesamten Nazi-Führung frequentiert und vom Berliner Gastronomen Horcher betrieben. Ungeachtet der Versorgungslage tischte Horcher bis 1944 Delikatessen auf.
Doch die Kriegswirtschaft forderte auch hier ihren Tribut. Zwischen Goebbels und Göring entwickelte sich Streit bezüglich der Luxusrestaurants, den Göring listig führte: Horchers Restaurants wurden zu »Luftwaffenclubs« umgewidmet, und von denen gab es viele, etwa in Oslo, Belgrad und Riga.
Als Horcher 1944 bemerkte, dass dem »Tausendjährigen Reich« nur noch eine bescheidene Lebensdauer bevorstand, setzte er sich nach Madrid ab, wo er zur Franco-Zeit ein weiteres erfolgreiches Lokal betrieb und für den Diktator höchstpersönlich 1964 ein rauschendes Bankett im Retiro-Park ausrichtete. Die alte Stammkundschaft ließ Horcher auch in Madrid nicht im Stich: Einer seiner treuesten Gäste war Obersturmbannführer Otto Skorzeny, der 1943 mit der »Operation Eiche« Benito Mussolini aus seinem Gefängnis befreite und später angeblich die »Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen« gründete, deren Existenz freilich nie bewiesen wurde. Bereits im August 1952 wurde die Nazi-Diaspora in Madrid vom amerikanischen Time Magazine aufgedeckt.
Gleichwohl wurden Horchers Kochkünste bis in die Siebzigerjahre hinein in deutschen Medien gelobt. Zitat: »Dies ist eigentlich ein Berliner Restaurant auf spanischem Boden […] hier spürt man den deutschen Einschlag« (aus: Die 100 besten Restaurants in Europa von Klaus Besser, 1976 im Ullstein Verlag erschienen).
Während Skorzeny schlemmte, herrschte für die Mehrheit der Menschen nach wie vor Lebensmittelmangel: Rationen an Brot, Fleisch, Fett, Zucker, Kartoffeln, Salz, Bohnenkaffee, Kaffee-Ersatz und echtem Tee wurden von den Alliierten festgelegt. Der Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings thematisierte das Entwenden von Gemüse vom Acker und das Stehlen von Briketts für den eigenen Ofen 1946 in seiner Silvesterpredigt:
»Wir leben in Zeiten, da in der Not auch der Einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise, durch seine Arbeit oder durch Bitten, nicht erlangen kann. Aber ich glaube, dass in vielen Fällen weit darüber hinausgegangen worden ist. Und da gibt es nur einen Weg: Unverzüglich unrechtes Gut zurückzugeben.«
Bei der Bevölkerung kam nur der erste Satz an, fortan hießen kleine Diebstähle im Rheinland »fringsen«.
In der Bundesrepublik Deutschland wurden die Lebensmittelkarten 1950 abgeschafft, in der DDR galten sie bis 1958.
Doch die Sieger lebten ebenfalls nicht auf der Sonnenseite: Auch in Frankreich waren viele Produkte bis 1949 rationiert, und die Schwarzhändler wurden reich.
10. F RESSWELLE UND N ACHKRIEGSZEIT
»Wenn ich an einem unbekannten Restaurant haltmache, schüttele ich vor der Mahlzeit immer die Hand des Küchenchefs«, pflegte Fernand Point (1897-1955) zu sagen. »Denn ich weiß, dass ich schlecht essen werde, wenn seine Hand mager ist. Und ist der Koch mager und trist, liegt das einzige Heil in der Flucht.« Bei ihm gab es einen kräftigen Händedruck. Point war buchstäblich ein großer Koch: Seine 165 Kilogramm verteilten sich auf 1,90 Meter, sein Bauchumfang soll 169 Zentimeter betragen haben. »Magnum« nannte man ihn nicht wegen seines imposanten Formats, sondern wegen seiner Angewohnheit, zum Frühstück regelmäßig eine Magnumflasche Champagner zu öffnen.
Point stammte aus der Bresse, dem Land von Flusskrebsen, Fröschen und bestens genährten Hühnern. Seinem Vater Auguste gehörte das Buffet de la Gare in Louhans, das Bahnhofsrestaurant, wo Mutter und Großmutter kochten. Ein Bahnhofsrestaurant – das klingt für Feinschmecker von heute fast schon furchterregend. Auguste freilich betrieb sein Lokal vor dem Siegeszug des Automobils. Die wohlhabende Klientel reiste per Zug, etwa an die Côte d’Azur, und stellte an ihre Bahnhofslokale
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