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Die Erfinder des guten Geschmacks

Die Erfinder des guten Geschmacks

Titel: Die Erfinder des guten Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Zipprick
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Demi-Deuil (mit Trüffeln) und Artischocken mit Foie gras, das andere 21 Kilometer weiter auf dem Col de la Luère beim Vorort Vaugneray. Hechtklöße gab es dort ebenfalls, dazu Languste Belle Aurore, die Poularde mit Trüffeln hieß »nach Art von Mutter Brazier«. Selbst ein Lokal in New York hätte sie haben können: 1953 bot ihr die Direktion des Waldorf Astoria an, die Küchen des Hauses zu übernehmen, angeblich zum damals geradezu unvorstellbaren (und heute immer noch sehr stattlichen) Jahresgehalt von 150   000 Dollar.
    Eugénie lehnte ab und blieb in Lyon, selbst als ihr ein paar Wochen später ein indischer Maharadschah eine Küche mit Töpfen aus purem Gold bot, wenn sie nur seine Privatköchin würde. So zumindest erzählt man es in Lyon.
    Ihr Schüler Bernard Pacaud, heute im L’Ambroisie in Paris, schwärmt im Interview: »Bei Mutter Brazier verließ man sich stets nur auf beste Produkte, da wurde nichts gekünstelt und verfremdet.« Für Pacaud, damals ein 14-jähriges Waisenkind aus der Bretagne, war die Lehre bei Eugénie Brazier »eine tolle Zeit. Damals grillten wir noch Drosseln und Schnepfen und fertigten aus den heute in Frankreich fast ausgestorbenen Écrevisses à pattes rouges (Flusskrebsen) Gratins und Klöße – so viele, dass wir die Krustenpanzer an die anderen Restaurans von Lyon verkauften, damit sie Krebsbutter machen konnten. Damals haben wir noch nach Herkunft eingekauft. Poularden aus der Bresse, Tomaten aus Marmont […] Und auf dem Teller wurde nicht gemalt. Der Bluff auf dem Teller, das ganze Wortgeklingel auf der Speisekarte ist wirklich simpel. So pur wie möglich zu kochen kann schwer sein.«
    Dabei begann die Karriere von Eugénie Brazier alles andere als glorreich. Lehre in einem großen Restaurant? Einem grand chef in die Töpfe gucken? Das gab es für Madame nicht. Eugénies Mutter starb, als sie gerade mal zehn Jahre alt war. Der Vater gab sie an eine Gastfamilie, in der das Kind kochen lernte. Wieder zehn Jahre später saß sie auf der Straße: Ihr uneheliches Kind, ein Junge namens Gaston, war den Gasteltern ein zu großer Fleck auf der bourgeoisen Reputation. Trotzdem fand Eugénie Arbeit, kochte für die Familie Milliat, die mit Nudelherstellung ein kleines Vermögen gemacht hatte. Die alte Hausköchin brachte ihr allerlei Tricks und Kniffe bei. Erst der nächste Job führte Eugénie in ein echtes Restaurant: La Mère Fillioux in der Rue Duquesne 73, wo regelmäßig der Aga Khan und reiche amerikanische Touristen einkehrten. Und Mutter Fillioux merkte schnell, dass die »Neue« ihr mindestens ebenbürtig war, es kam zu Rivalitäten, Eugénie Brazier zog weiter in die Brasserie du Dragon, dann endlich eröffnete sie ihr erstes Lokal: 15 Plätze, ein Menü mit kleinen Langusten und Mayonnaise, gebratener Taube und Erbsen nebst Karotten zu fünf Francs. Mutter Brazier war vom ersten Tag an ausgebucht, der Motorölhersteller Spidoléine verpflichtete sie für Bankette im fernen Paris. 1928 eröffnete sie ein zweites Restaurant auf dem Col, einer Bergstraße hoch über Lyon. Dort gab es zunächst kein fließend Wasser, kein Gas, keine Elektrizität. Mutter Brazier wollte, dass alles »hausgemacht« ist: Im Keller stand ein Generator, nebenan gab es eine eigene Schweinezucht. Einer ihrer Schüler trägt den später weltbekannten Namen Paul Bocuse. Bis zum 78. Lebensjahr stand Eugénie Brazier am Herd. Aus dem stämmigen Mädchen vom Lande war die Grande Dame der großen Küche geworden.
    Nicht nur der Michelin, auch der größte Kritiker seiner Zeit schwärmte von den kochenden Damen.
    Nein, hier gibt es keine Hausmannskost. Mutter Brazier war die bedeutendste Köchin Frankreichs in der Zeit zwischen den Weltkriegen.
Der Prinz der Gastrosophen
    Sein Name: Maurice-Edmond Sailland. Sein Pseudonym: Curnonsky. Sein Status: Legende. Der französische Restaurantkritiker (1872-1956) wirkte wie das reale Vorbild für das knuffige Michelinmännchen »Bibendum«. Der Satz vom »Kochen, wie der Vogel singt« stammt ebenso von ihm wie die Prinzipien der modernen Küche: »Gute Küche beruht auf guten Zutaten. Gute Zutaten bewahren ihren Eigengeschmack.« Er gründete ein Magazin zum Thema Essen und Trinken, den Vorläufer aller heutigen Formate, und schrieb die Küchenbibel Cuisine et Vins de France (1953).
    Abseits der Gastronomie war er Theaterkritiker und Ghostwriter des Ehemanns der Schriftstellerin Colette. Curnonsky stellte Fragen wie: »Ist Kochen Kunst?« Oder: »Ist das

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