Die Erfinder des guten Geschmacks
der Folge, dass sich Köche bis heute auch schwer krank zur Arbeit schleppten und ihre Noroviren prompt an Gäste und Kollegen weitergeben.
Für Frauen gibt es in dieser martialischen Welt keinen Platz. In den meisten europäischen Ländern gibt es mehr Ministerinnen als Spitzenköchinnen. Punktsieg für Philéas Gilbert also. Kulinarisch hat er verloren: Auch feinschmeckerisch gebildete Franzosen können heute kein Gericht des misogynen Küchenmeisters nennen. Von Mutter Brazier kennen sie dagegen mindestens zwei: die Artischockenböden mit Foie gras und das Geflügel mit Trüffeln unter der Haut.
A RTISCHOCKENBÖDEN MIT F OIE GRAS
4 frische Artischocken
20 g ganze Trüffel
50 g Walnüsse
150 g Foie gras (mi-cuit)
1 Zitrone
2 Zweige Petersilie
4 Esslöffel Öl
2 Esslöffel Essig
Mesclun (Salatmischung) für 4 Personen
Stiele der Artischocken an der Tischkante mit einer festen Kreisbewegung abreißen. Blätter abschneiden und für andere Rezepte verwenden. Heu (Fasern) entfernen. Artischockenböden in Zitronenwasser geben. In einen Topf mit kaltem, gesalzenem Wasser geben und bei schwacher Hitze zehn Minuten garen. Im Kochwasser abkühlen lassen. Trüffel in dünne Streifen schneiden, Walnüsse und Petersilie grob hacken.
Vinaigrette aus Olivenöl, Essig, Salz und Pfeffer zubereiten. Artischockenherzen abtropfen lassen und trocken tupfen. Mit der Vinaigrette in einer Salatschüssel mischen.
Eine Artischocke auf jedem Teller auf ein Salatbett legen. Mit Walnüssen und Trüffelstreifen garnieren. Mit gehackter Petersilie bestreuen. Ein kleines Stück von der Gänsestopfleber auf den Artischockenboden setzen und servieren.
9. K RIEGE UND W IRTSCHAFTSKRISEN
Nach dem Gourmet’s Guide to Europe und dem Michelin erschien 1937 in Deutschland ein Restaurantführer, der sich an die politische Sachlage anpasste: Gastlichkeit im neuen Deutschland hieß das Druckwerk aus dem Düsseldorfer Droste Verlag. »Willkommen in Deutschland! Das ruft ein jedes Gasthaus in unserm herrlichen Vaterland allen Fremden und Freunden zu«, heißt es darin. Ab Seite 93 werden dann mit deutlichen Worten die »Gaststätten der Bewegung« gelobt: »Was ließ doch die Kämpfer Adolf Hitlers von Anbeginn an unüberwindlich werden? Es war der Glaube, der da Berge versetzen kann, und die Kameradschaft, geboren aus dem Geist des Schützengrabens.« Dieser Geist wurde auch in den Gaststätten gepflegt, etwa dem »Gasthof zum Blutgericht« in Königsberg. Trotz der politischen Botschaft verriet der Band in seiner Bildsprache die Diskrepanz zwischen Stammtischen und Weinstuben des Volkes und den Grandhotels einer Berliner Elite.
Die Grüße aus dem Gasthaus entfielen wenig später mit Beginn des Zweiten Weltkrieges. Gern verweist man im Hause Michelin darauf, dass die Allierten ihren Weg gegen Ende des Krieges dank der Karten des Hauses fanden. Wesentlich seltener wird erwähnt, dass auch die Nazis beim Überfall auf Frankreich Michelin -Karten und ihre Imitationen nutzten.
Im Zuge der Kriegsvorbereitung pries die Presse die vielseitige Verwendbarkeit bodenständiger Lebensmittel: »Sie glauben gar nicht, was für neue und leckere Gerichte man gerade aus Kartoffeln machen kann«, jubelte das Interessante Blatt im Januar 1939. Bücher wie Die Kartoffel in der Ernährung lehrten, dass »die Verwendungsmöglichkeiten im Haus sehr vielseitig« seien und »dadurch der billige Preis und der hohe Nährwert in noch größerem Rahmen nutzbar gemacht werden können, ohne dass andererseits die Kost dadurch geschmacklich zu einseitig wird […] Namentlich sollten die Hausfrauen dazu übergehen, mehr als bisher auch abends warme Kartoffelgerichte zu reichen.« Der Ruf der deutschen Gastronomie als Hort von K.u.K. (Kartoffeln und Kohl) hat im Zweiten Weltkrieg seinen Ursprung. Früher nämlich gab es, besonders in Metropolen wie München, Hamburg und Berlin, eine reichhaltige gastronomische Kultur, von der auch Chronisten aus dem Ausland berichten – siehe Nathaniel Newnham-Davis und Algernon Bastard.
Die Zeit der Ersatzprodukte
Günstige Massenverpflegung für Kriegstage war der Anfang der industriellen Ernährung unserer Zeit. Schon Napoleon III. schrieb einen Preis für den besten Butterersatz aus, den der Apotheker Hippolyte Mège-Mouriès aus Draguignan mit seiner Margarine auslöste.
Dafür gibt es einen einfachen Grund: Nicht nur Soldaten brauchen Nahrung. Fehlt es an der Heimatfront an Lebensmitteln, zum Beispiel weil die Felder nicht mehr
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