Die Erfinder des guten Geschmacks
Wirsing mit Curry und Ingwer, Steinbutt auf Kartoffelpüree mit Alba-Trüffel, Kalbsbries mit Stachys (Knollenziest), Topinambur und Périgord-Trüffel, Rehrückenmedaillons mit Nusskruste, Maronen und Rotkrautwickeln, dann Käse und ein Dessert »rund um die Mandarine« genossen hatten.
Der Sohn eines Schneidermeisters aus Bad Gastein war seitdem ein Fixstern am Kochhimmel. Gelernt hatte er in der Auberge de l’Ill, bei Paul Bocuse, im Operakällaren in Stockholm, der Villa Lorraine in Brüssel, dem Jockey in Washington. Seinen Lehrherren war schnell klar, dass »der Eckart« mal Karriere machen würde. »Vom ersten Tag an hatte ich verstanden, dass einaußergewöhnlicher Koch an meinem Herd stand«, sagte Paul Haeberlin über ihn. »Eckart ist genial.«
In Deutschland begann seine Karriere im Tantris in München, jenem Lokal, das sich der Baulöwe Fritz Eichbauer 1971 leistete – angeblich, weil er gern gut speiste, das nächstliegende annehmbare Lokal damals jedoch im Elsass zu finden war. Zwei Sterne erkochte er sich schon dort. Zu jener Zeit war das in deutschen Landen das höchste aller Michelin -Gefühle.
Unvergessen, wie Wolfram Siebeck 1976 die Genese des Kalbsbries Rumohr beschrieb: Bries, Champagnersauce, gebunden mit Foie gras serviert. Trüffel und Gänseleber wurden eingehüllt in einen Mantel aus Lauch und Parmaschinken, gebacken in dünnem Strudelteig und in einer Champagnersauce serviert.« Das war einer jener Geniestreiche, deretwegen die Gourmets zu einem bestimmten Küchenchef pilgern wie Heiligsuchende nach Lourdes«, schrieb der König der deutschen Kritiker.
Wie viele andere Köche litt auch Witzigmann am Dauerstress der drei Sterne, verlangte permanente Höchstleistungen von sich selbst. Irgendwann begann er, ebenfalls wie viele andere Köche, Zuflucht im Kokain zu suchen. Anfang der Neunzigerjahre wurde er denunziert, gleich ein halbes Dutzend Polizisten filzten seine Wohnung. Deutschlands Elite-Koch erhielt eine Bewährungsstrafe, verlor aber die Konzession für die Aubergine. Ein existenzvernichtendes Urteil für einen Koch und schon deswegen erstaunlich, weil auch bei schlimmsten Kapitalverbrechen für die meisten Richter ein fester Arbeitsplatz entscheidend zur »günstigen Sozialprognose« beiträgt.
Fortan fungierte der beste Koch der Republik als Berater, schrieb erfolgreiche Kochbücher und beriet das Restaurant Ikarus im Hangar 7 des Salzburger Flughafens, ein Lokal, das wechselnde Top-Köche aus aller Welt nach Österreich einludt.
Drei Sterne, großartiger Ausbilder, Kokainaffäre – auf diese Schlagwörter wird Witzigmann bis heute reduziert. Eines seiner ersten Kochbücher, La Nouvelle cuisine allemande et autrichienne, erschienen 1984 im Pariser Verlag Robert Laffont, der in den Siebzigern und Achtzigern Anthologien aller großen Köche verlegte, zeigt, dass er von Anfang an viel mehr war: Ob »Blutwurst à la Witzigmann«, Borschtsch von der Taube, geschmortes Rindfleisch im eigenen Jus, Schinken vom Milchschwein auf Linsen, Kaninchen mit Pflaumen und Pumpernickel, Schweinemedaillons in Bier, Kalbskopf Bogenberger […] Schon früh verließ Witzigmann das Vorbild Frankreich, fand seinen eigenen Stil, etablierte die deutschen und österreichischen Aspekte in der Haute Cuisine, besann sich auf lokale Zutaten, würzte mit Bärlauch und Knollenziest, servierte Schweinefleisch in der Spitzengastronomie, was damals eher verpönt war. Witzigmanns Arbeit war stilbildend, auch wenn sich andere Köche zuweilen seine Verdienste an die stolzgeschwellte Brust heften und heutige Kritiker in revisionistischer Geschichtsschreibung behaupten, zu seinen aktiven Zeiten hätte man in Deutschland allein französisch gespeist.
Ohne Witzigmann wäre das kulinarische Deutschland ärmer, schließlich bildete er etliche Köche aus, die entweder jeder kennt (Johann Lafer, Alfons Schuhbeck) oder die jeder kennen sollte – in erster Linie Harald Wohlfahrt aus Baiersbronn, dem wohl besten deutschen Koch in der Zeit nach Witzigmann, der mit seiner sensiblen, perfektionistischen Küche seinerseits zum großen Ausbilder wurde. Wie Bocuse, Robuchon und Girardet wurde er vom Gault Millau zum »Koch des Jahrhunderts« ernannt.
Zum Glück für die bessere Küche der Bundesrepublik stand Witzigmann nicht ganz allein da:
Dieter L. Kaufmann (*1937) aus Grevenbroich machte sich im Alter von nur 24 Jahren mit seinem Lokal Zur Traubeselbstständig. Konditor hatte er gelernt, im Café Poser in seiner
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