Die Erfinder des guten Geschmacks
stilbildend ist. Das Kochen mit Additiven, Laboraromen und Farbstoffen ist für ihn eine Mode, die gegen den generellen Trend zur Natürlichkeit geht. »Die Tradition bleibt. Man kann sie fortlaufend weiterentwickeln, aber es gibt nichts zu entdecken. Ein Gericht sollte einfach sein.«
Nordische Küche aus Schweden
Bis in den Norden reichte der Griff der Nouvelle Cuisine: Werner Vögeli (1930-2007) und Tore Wretman (1916-2003) sind die vergessenen Väter der nordischen Küche.
Wenn Tore Wretman den Hype um die nordische Küche noch erlebt hätte, der kurz nach seinem Ableben einsetzte, hätte er dann gegrinst oder sich nostalgisch erinnert? All das, was die heutige, angeblich besonders naturbelassene nordische Küche auf Basis regionaler Zutaten ausmachen soll, das gab es schon zu Zeiten der Nouvelle Cuisine. Damals, in den Siebzigerjahren, setzte Wretman in seinem Restaurant Operakällaren regelmäßig nordische Produkte auf die Karte: Saibling aus dem Vätternsee, am Spieß gegrillt, Schwedisches Schneehuhn in Cremesauce, Nüsschen vom jungen Rentier mit Genever, Parfait von Tundra-Brombeeren. Große Gerichte aus Frankreich, dazu erstklassig zubereitete Zutaten aus der Heimat – so lautete das Erfolgsrezept von Tore Wretman und seinem Chefkoch, dem Schweizer Werner Vögeli.
Bevor Wretman zum erfolgreichen Unternehmer, zum Ehrendoktor (1986) und zum Professor (2000) avancierte, war er zunächst einmal Koch.
In den frühen Dreißigerjahren lernte er im Hotel Continental in Stockholm. Ein Weinhändler vermittelte ihm einen Job im legendären Pariser Maxim’s. Wretman arbeitete dort als Commis Saucier und als Poissonnier (»Fischkoch«). Nach einigen Jahren in den USA zog es ihn zurück nach Schweden. Das Problem: Es war 1941, in Europa tobte der Zweite Weltkrieg. Wretman quartierte sich auf einem Frachter aus dem neutralen Finnland ein. Der jedoch schaffte es nur bis nach England. Dort arbeitete der junge Koch als Rezeptionist im Savoy, bevor er 1943doch noch heil nach Hause kam. Die letzten beiden Kriegsjahre verbrachte er als Oberkellner im Operakällaren, einem Traditionslokal seit 1787. Mit 29 Jahren, 1945, kaufte er sein erstes Restaurant: das Riche. Es folgten das Teatergrillen und das Stallmästaregården.
Schließlich übernahm Wretman 1955 auch den Operakällaren, wo er einst serviert hatte. Da stand er nun als erfolgreicher Gastronom nicht mehr selbst am Herd, sondern lehrte im Radio und später auch im Fernsehen Kochen für Anfänger.
In Paris fahndete er nach einem Küchenchef für sein Flaggschiff, den »Opernkeller«. Raymond Oliver aus dem Grand Véfour empfahl ihm Werner Vögeli, seinen Schweizer Musterschüler. Dem war von Anfang an klar, dass er Pariser Küche in Stockholm nicht kopieren konnte. So wanderten Schneehuhn, Rentier und lokale Fische auf die Speisekarte.
Das deutsche Küchenwunder
Auch Deutschland wurde von der Nouvelle Cuisine erfasst. Eigentlich galt das ganz feine Essen ja bis in die Siebzigerjahre als Zeichen von Dekadenz. Wer nach der Epoche des Toast Hawaii Gutes wollte, der bestellte ein Pfeffersteak oder demonstrierte seine Weltläufigkeit durch einen Besuch im Balkan-Grill. Pioniere in Sachen Wohlgeschmack gab es dennoch: den Erbprinzen in Ettlingen, Henry Levy mit seinem Berliner Maître, Katzenbergers Adler in Rastatt, den Schwarzen Adler in Vogtsburg, das Humplmayr in München (wo der Spitzenkoch und Autor Vincent Klink lernte). Einige waren erfolgreich, für andere war die große Küche eine eher brotlose Kunst. Gerade der Franzose Henri Levy kämpfte in Berlin mit seinemSpitzenrestaurant Maître um jeden Gast. Flusskrebse in Loirewein mit Forellenmus, Seezunge mit geschmorten Gurken, in der Schweinsblase pochierte Ente, Perlhuhn in Sherryessig mit Gemüsepürees und Crêpes in Mokka-Sauce gab es dort. Doch das damalige West-Berlin verschmähte die Haute Cuisine des Franzosen.
Hamlet am Herd
Das änderte sich mit der Ankunft eines jungen Österreichers in München: Eckart Witzigmann (*1941).
Der Spiegel nannte Witzigmann 1979 »Hamlet am Herd«. »Sein oder nicht sein« war damals noch eine Frage der Sterne. Der Michelin galt als unkorrumpierbarer Standard der Restaurantkritik. Drei Sterne gab es in Frankreich und Belgien, aber doch nicht in Deutschland. Witzigmann holte sie 1979 in seine Münchener Aubergine, kurz nachdem die Tester Timbale von Gänseleber und Wildente, Königskrabbe mit Erbsenschotensalat und Sevruga-Kaviar, Jakobsmuscheln und Seeigel-Zungen auf
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