Die Erfinder des guten Geschmacks
Achtzigerjahren war dies noch nicht überall verbreitet. Neue Gerichte testete und verfeinerte Robuchon manchmal monatelang: So entstanden zum Beispiel die Jakobsmuscheln à la Quiberonnaise – in der Schale gekocht, um schonend den Eigengeschmack zu bewahren, und vor dem Servieren mit einer fantastischen Sauce aus Orangensaft, Butter, Dill, Gurken, Karotten und grüner Zitrone geschmacklich abgerundet. Oder ein Turban von Langustinos: Tatsächlich ein Ring aus Krustentierfarce, bei dem ein »Mantel« aus Spaghetti im Mund für den richtigen Biss sorgt.
Weil Robuchon ursprünglich als Legende abtreten wollte, hatte er im Laufe des Jahres 1994 sein gesamtes Werk noch einmal infrage gestellt: Die staatliche Wassergesellschaft Générale des Eaux offerierte ihm ein großartiges neues Restaurant mit drei eindrucksvollen Sälen: eine Bibliothek im Trompe-l’œil-Stil, gestaltet vom argentinischen Künstler Alberto Bali, ein Saal mit dem Imitat eines Renaissance-Kamins vom Anfang des Jahrhunderts und einem weiteren »holländischen Saal« mit viel dunklem Holz. Seine winzige Jamin-Küche hatte er durch eine 200 Quadratmeter große Luxusausgabe ersetzen lassen, in der 25 Köche für das Wohl von maximal 45 Gästen arbeiteten. Eine ganze Etage des Bauwerks war der Patisserie gewidmet, eine weitere dem Empfang.
Auch die Speisekarte wurde noch einmal gründlich überarbeitet: Die meisten Gerichte, die den Ruf des Hauses begründet hatten, suchte man nach dem Umzug vergebens. Statt »Frivolités vom Räucherlachs mit Kaviar« wurden jetzt geschmorter Schweinsfuß, Makkaroni-Gratin mit Trüffeln, Sellerie und Foie gras oder Pot au Feu vom Speck mit Kohl aufgetischt. »Heute koche ich nur noch, was ich selber mag«, erläuterte Monsieur Robuchon seine neue Karte. »Außerdem haben die plats canaille – die bäuerlichen Gerichte – auf meiner Karte den größten Erfolg.«
»Am 50. Geburtstag mache ich Schluss, ich möchte auf dem Höhepunkt meiner Laufbahn abtreten!«, hatte er über Jahre verkündet. »Schluss« war 1996. Joël Robuchon wurde zum Fernsehkoch und beriet den Lebensmittelkonzern Fleury Michon. Sein Porträt ziert auch heute noch etliche Fertiggerichte. In den französischen Supermarktregalen befand er sich in den Neunzigerjahren bereits in allerbester Gesellschaft: Paul Bocuse lächelte von Konserven der Marke »William Saurin« herunter, Michel Guérard grinste auf Saucen und Pasteten aus dem Hause Findus, Alain Senderens zeichnete sich für Fertiggerichte der Supermarktkette Monoprix verantwortlich, Bernard Loiseau rührte für Royco Tütensuppen und die Familie Troisgros aus Roanne präsentierte ein ganzes Sortiment von Fertigsaucen in allen modischen Geschmacksrichtungen zwischen provenzalisch und asiatisch für die Supermarktkette Casino. Laut der französischen Wirtschaftspresse wurde das Konterfei des Kochs auf Tüten und Boxen je nach Bekanntheitsgrad mit 45 000 bis 1,1 Millionen Euro honoriert.
Robuchon wagte 2003 mit dem Atelier ein spektakuläres Comeback. Das nämlich war ganz anders als seine bisherigen Lokale: kein Superluxus bei Tisch, keine Reservierungen, stattdessen offene Küchen, frische, simple Gerichte, die direkt vorden Augen der Gäste zubereitet wurden, lockerer Service. Gerade weil man nicht reservieren konnte, standen in der ersten Filiale in der Pariser Rue de Bac manchmal 50 bis 80 Pariser für einen Platz an der Bar Schlange. Inzwischen gibt es Ateliers auch in London, Hongkong, Las Vegas, Tokio und New York.
Der stille Star
Parallel zum Aufstieg Robuchons begann der von Bernard Pacaud. Mit nur 13 Jahren und sechs Monaten hatte er schon seine Lehre bei der Lyoner Kochlegende »Mutter« Brazier angefangen. Ihre Qualitätsansprüche an Zutaten aller Art definierten früh seine Küchenideen: »Nur die beste Ware verwenden. Die Gäste zahlen schließlich dafür.«
Anfang der Achtzigerjahre eröffnete Pacaud dann ein Kleinstlokal in der Pariser Rue de Bièvre: zwei Mann in der Küche, zwei im Service, eine Tageskarte. Montags gab es Pot au Feu, dienstags Kalbsragout. Das schlichte Kleinstlokal gewann in nur zwei Jahren höchste gastronomische Ehren. Bald schon stand ein Umzug ins ehemalige Atelier eines Goldschmieds an der noblen Place des Vosges an. Innen wartete jetzt das hochherrschaftliche Frankreich: Tapisserien, Schloss-Interieur, Service alter Schule. Pacaud trat so gut wie nie im Fernsehen auf, verkaufte nie Fertiggerichte unter seinem Namen. Eigentlich stand er
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