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Die Erfinder des guten Geschmacks

Die Erfinder des guten Geschmacks

Titel: Die Erfinder des guten Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Zipprick
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Compagnons zu beginnen, die härteste und schwierigste Ausbildung von ganz Frankreich: Als Wandergeselle müssen die Berufsanfänger jahrelang für einen Hungerlohn von Compagnon zu Compagnon ziehen, um ihr Metier zu erlernen. Für denletzten Schliff sorgten einige Jahre im Berkeley, damals eine der Top-Adressen, in der sich das vornehme Paris flambierte Kalbsnieren, Pfeffersteak und Pistazienkuchen schmecken ließ. Im Jahr 1970 unterschrieb Robuchon seinen ersten Vertrag als Küchenchef auf dem Seineboot Île-de-France. Vier Jahre lang bewirtete er dort Touristen, bevor er den Herd des Pariser Hotels Concorde La Fayette an der Porte Maillot übernahm. Die drei Restaurants des 1000-Zimmer-Hauses und die kulinarische Tagesarbeit vom Frühstücksservice bis zum Bankettbetrieb hielten den jungen Joël schwer in Atem. »Dabei lernt man Disziplin«, erinnerte er sich im Gespräch mit mir. Eine Qualität, die auch sein nächster Arbeitgeber, das Hotel Nikko, zu schätzen wusste: Hier durfte Robuchon zum ersten Mal zeigen, was er konnte – und kochte die triste Betonburg in Rekordzeit in die Riege der begehrten Schlemmeradressen. Gäste und Kritiker wurden auf den Mann aus Poitiers aufmerksam, das neue Küchentalent beteiligte sich an Kochwettbewerben wie dem Prix Taittinger und gewann. Die zwei Sterne, die ihm der Michelin damals für seine Arbeit zugestand, durfte er 1981 beim Umzug in sein eigenes Restaurant, nach dem Vorbesitzer Jamin genannt, mitnehmen.
    Anfang der Achtzigerjahre verdaute die französische Gastronomie die Folgen der Nouvelle Cuisine. Die Cuisiniers der Grande Nation begannen gerade, die ersten Kiwi-Lieferungen abzulehnen und sich die Frage zu stellen, was man den Gästen außer Brokkolimousse denn sonst noch anbieten könnte. Und dann eröffnete das Jamin, ein Lokal mit klaren, schnörkellosen Gerichten ohne Firlefanz und störendes Beiwerk, immer bestens durchdacht, bestens realisiert und präsentiert. Als einer der Ersten schmückte Robuchon die Karte seines neuen Restaurants mit verfeinerten Versionen klassischer und ländlicherGerichte, ließ Lammbraten in Salzkruste, Merlan Colbert oder den erwähnten Schweinskopf Île-de-France servieren. »Ich habe einfach das Gegenteil der anderen gemacht«, erklärte Robuchon. So wurde das Jamin zu einem der Orte der »Renaissance« der französischen Küche, fein, raffiniert und zugleich dennoch ländlich-rustikal.
    »Kochen wie Robuchon« lautete schnell der Traum einer ganzen Generation junger Küchenchefs. Die wenigen Ausbildungsplätze waren heiß begehrt – obwohl über die Arbeitsbedingungen die wildesten Gerüchte kursierten. »Im Jamin gibt es nicht einmal genug Bestecke fürs Personalessen, wer nicht gut arbeitet, bleibt hungrig«, lautete eines davon. Oder: »Wer den berühmten Kartoffelbrei nicht richtig anrührt, muss die Töpfe mit dem verkorksten Püree selber auslöffeln.« Aber die Lehre im Hause Robuchon öffnete die Tür zur ganz großen Karriere.
    Neue Kreationen aus den Töpfen und Pfannen des Meisters wurden unterdessen im ganzem Land kopiert: Mit seinen Ravioli von Langustinos und Kohl löste Robuchon eine regelrechte Ravioliwelle aus, die jahrelang in den Küchen der Hauptstadt tobte. Variationen seines weltberühmten Purée de pommes de terre – einem wunderbar geschmeidigen Kartoffelbrei mit jeder Menge Butter – schmückten über Jahrzehnte die Karten zahlreicher Restaurants. Die Imitatoren bissen sich an dem vermeintlich einfachen Gericht buchstäblich die Zähne aus. Nicht allein die Butter macht nämlich die pürierten Erdäpfel zum Feinschmeckergericht, sondern vor allem die richtige Kartoffelsorte. Robuchon hatte, bevor er seine Neuschöpfung lancierte, endlose Versuchsreihen mit allen erhältlichen Varianten gestartet. Seine Wahl fiel auf die »Agria« des Bauern Jean-Pierre Clot.
    Ein Verfahren, das typisch für seine Küche geblieben ist: Während einige seiner Kollegen ihrer Fantasie fast ungezügeltfreien Lauf ließen, praktizierte Robuchon eine »Küche der Intelligenz«, in der Zufall keinen Platz hatte. Selbstverständlich hatte »J R« – wie ihn der Schriftzug auf seinem Kochhabit diskret benannte – die besten Lieferanten, beschäftigte eigene Fischer in der Bretagne und verfügte sogar über ein eigenes Kartoffelfeld bei seinem Produzenten. Um jeden Tag dieselbe Qualität zu gewährleisten, wurde jedes Rezept auf das Gramm genau gewogen und vermessen – heute mag das selbstverständlich sein, in den

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