Die Erfinder des guten Geschmacks
stets am Herd des Ambroisie und kochte. Früher bat er Journalisten sogar, lieber über seine Zutaten als über ihn selbst zu sprechen. Doch Pacaud hatte ein halbes Jahrhundert Gastronomie selbst miterlebt und wollte später durchaus über seine Erfahrungen reden. Da war zum einen die Erinnerung an die Jugend, an die Lyoner Gastronomie, damals, als noch Drosseln und Schnepfen gegrilltwurden und die Écrevisses à pattes rouges, die »Flusskrebse«, in der Küche zu leckeren Gratins und Klößen verarbeitet wurden. Heute sind die echten pattes rouges fast ausgestorben. »Damals, in Lyon, da haben wir nur manikürtes Bresse-Geflügel verarbeitet.« Manikürtes Geflügel? »Die Hühner mussten sauber sein, die Bauern mussten sauber sein. Meine Lehrherrin, Mutter Brazier, verlangte das so«, wusste Pacaud zu erzählen.
Auch im eigenen Lokal wählte Pacaud seine Waren selbst aus und las den Lieferanten gelegentlich die Leviten. Dann holte er etwa Steinpilz für Steinpilz aus der Kiste, betrachtete jeden genau und gab die seines Erachtens zweitklassige Ware zurück. Die Händler murrten nicht, denn ihr Kunde zahlte gut. »Wer die Zutaten kennt, geht anders mit ihnen um. Sind Langustinos nicht wirklich frisch, erfühle ich das förmlich. Dann habe ich immer das Gefühl, dass mir Ammoniak an den Fingerkuppen brennt.«
Manchmal erzählten ihm Kunden, Lieferanten, Freunde, dass die ganze Sache mit dem Kult um gute Produkte doch im Grunde von gestern sei. Kreativ sei das jedenfalls nicht. Pacaud rollte dann mit den Augen: »Nach Mutter Brazier habe ich bei Claude Peyrot im Pariser Vivarois gearbeitet. Der war damals einer der kreativsten Köche. Die ersten Curry-Austern – die bereitete er in Peyrots Küche zu. Aber das Produkt blieb der Star. Wir mussten damals nicht mit Zutaten malen.« War das Ambroisie ein Anachronismus? Die Gäste schwärmten von Hummerfrikassee mit Kastanien und Kürbis in Teufelssauce. Scharfes mit Cognac zu sautieren, das war das »Teuflische«. Dazu gesellte sich das Jod des Krustentiers. Wenn Pacaud bester Laune war, bereitete er für seine Gäste eine Tourte zu, eine große warme Pastete unter luftigem Blätterteig. Mal versteckte er darin Jakobsmuscheln, mal Wildgeflügel. Die Tourte beeindruckte schon beim Anschneiden. Kunstvoll hatte le Chef die punktgenau gebratene Entenbrust mit Entenleber zusammen gestapelt. Solche Tourtes gab es früher überall, später nirgendwo mehr. »Die Tourte macht Arbeit«, erklärte Pacaud. »Sie muss vor dem Abendservice zubereitet und nach Möglichkeit an die ersten Gäste serviert werden.« Denn, so der Meister: »Ich kreiere nicht, ich ›entschlacke‹. Wenn ich mit meinen Gerichten die Zutaten so wenig wie möglich verfremde, bin ich zufrieden.«
Als Dessert servierte Bernard Pacaud gerne einen simplen Schokoladenkuchen, von einem simplen Vanilleeis begleitet. Gab es ein Erfolgsgeheimnis für das Rezept? Einen Kniff? Einen Handgriff? Pacaud staunte über die Frage: »Sie sollten gute Schokolade verwenden.«
In späteren Jahren betrachtete er die Entwicklung des eigenen Berufsstands mit Sorge: »Schauen Sie sich nur einmal an, was aus der Gastronomie geworden ist! Die Gastronomie ist den Weg der Parfümerie, der Champagner und der Cognacs gegangen. Schöne Verpackungen, fantasievolle Formen. Aber was ist drin? Chemie ersetzt Blumenessenzen, die Zugabe von Karamell ersetzt Fasslagerung. All das gibt es jetzt auch am Herd.«
Pacaud hat das Ambroisie inzwischen an seinen Sohn Mathieu übergeben.
E IN R EZEPT VON B ERNARD P ACAUD
Grenobloise von geschmortem Kalbries, Petersilienpüree und Senfsamen
4 Kalbries von 150 g
300 g Petersilie
30 g Senf aus Meaux
4 Scheiben Toastbrot
30 g Kapern
1 dl Kalbsjus
4 gelbe Zitronen
100 g Butter
4 Rosmarinzweige
Am Vorabend
Kalbries blanchieren und pressen. Mit den Rosmarinzweigen spicken und kalt stellen.
Die Petersilie entstielen, waschen und schleudern, in Salzwasser blanchieren und in kaltem Wasser abschrecken, damit sie grün bleibt. Abtropfen, schleudern, mixen und durch ein Spitzsieb geben. Reservieren.
Eine Zitrone schälen, die Schale in feine Streifen (Julienne) schneiden und drei Mal blanchieren. Den Saft der Zitrone aufbewahren.
Die drei anderen Zitronen bürsten und sie im Dampf garen. Die gekochten Zitronen mit einer Nadel stechen. Einmal kochen. Fruchtfleisch durch ein Sieb geben und auf kleiner Flamme zum Püree reduzieren. Mit Butter aufmontieren. Mit Salz und Zucker abschmecken.
Am
Weitere Kostenlose Bücher