Die Erfindung der Einsamkeit
Auster, die im Zusammenhang mit dem rätselhaften Tod ihres Gatten festgenommen wurde, unter Polizeibewachung an der Beisetzung des Mannes teilgenommen, dessen Tod man ihr glaubt anlasten zu können.
Weder in der Crossin Chapel, wo sie zum ersten Mal seit Donnerstagabend das Gesicht ihres toten Gatten sah, noch auf dem Friedhof verriet sie das geringste Zeichen von Schwäche. Nur einmal schien sie unter der furchtbaren Last der Qual zusammenzubrechen, als sie nach Beendigung der Trauerfeierlichkeiten den Rev. M. Hartman, Pastor der B’nai Zadek-Gemeinde, über dem Grab um eine Zusammenkunft für diesen Nachmittag bat …
Am Ende der Zeremonie zog Mrs. Auster sich in aller Ruhe den Fuchspelzkragen fester um den Hals und bedeutete der Polizei, sie sei bereit zu gehen …
Nach kurzem rituellem Zeremoniell fand sich auf der Wisconsin Street die Beerdigungsprozession zusammen. Mrs. Auster bat darum, ebenfalls zum Friedhof mitgehen zu dürfen, welcher Bitte von der Polizei bereitwillig stattgegeben wurde. Sie schien sehr pikiert ob der Tatsache, dass man ihr keine Kutsche zur Verfügung gestellt hatte, vielleicht in Erinnerung an jene kurze Zeit offenkundigen Reichtums, als die Limousine der Austers die Straßen von Kenosha befuhr …
… Die Qual wurde außerordentlich in die Länge gezogen, da es bei der Vorbereitung des Grabes zu einigen Verzögerungen kam, und während sie wartete, rief sie Sam, ihren jüngsten Sohn, zu sich und zog ihm den Mantelkragen fester. Sie sprach leise auf ihn ein, ansonsten aber schwieg sie bis zum Ende der Feierlichkeiten …
Prominenter Beerdigungsteilnehmer war Harry Austers Bruder Samuel Auster aus Detroit. Er nahm sich besonders der jüngeren Kinder an und versuchte sie in ihrer Trauer zu trösten.
In seinen Äußerungen zeigte sich Auster sehr erbittert über den Tod seines Bruders. Er gab deutlich zu verstehen, dass er nicht an die Selbstmordtheorie glaubte, und seinen Bemerkungen war zu entnehmen, dass er der Witwe die Schuld gab.
Rev. M. Hartman … hielt eine beredte Grabpredigt. Er beklagte, dass der erste Mensch, der auf dem neuen Friedhof beigesetzt werden sollte, eines gewaltsamen Todes und in seinen besten Jahren gestorben war. Er bezeigte seine Hochachtung vor dem Unternehmungsgeist Harry Austers, beklagte jedoch sein vorzeitiges Ableben.
Die Witwe schien von der ihrem verstorbenen Gatten bezeigten Hochachtung ungerührt. Gleichzeitig öffnete sie ihren Mantel und ließ sich vom Patriarchen einen Schlitz in ihren Strickpullover schneiden, ein Zeichen der Trauer, wie es der jüdische Glaube vorschreibt.
Amtlicherseits besteht in Kenosha noch immer der Verdacht, dass Auster von seiner Frau getötet wurde …»
Die Zeitung vom nächsten Tag, dem 26. Januar, brachte die Nachricht von ihrem Geständnis. Nach ihrer Begegnung mit dem Rabbi hatte sie um ein Gespräch mit dem Polizeichef gebeten. «Sie betrat den Raum ein wenig zitternd und war offensichtlich erregt, als der Chief ihr einen Stuhl anbot. ‹Sie wissen, was Ihr kleiner Sohn uns erzählt hat›, begann Letzterer, als er erkannte, dass der psychologisch günstige Augenblick gekommen war. ‹Sie wollen gewiss nicht, dass wir denken, er lügt uns an?› Und die Mutter, deren Gesicht seit Tagen eine undurchdringliche Maske war, welche nichts von den dahinter verborgenen Schrecken erkennen ließ, gab ihre Tarnung auf, wurde plötzlich schwach und entrang sich schluchzend ihr furchtbares Geheimnis. ‹Er hat mit keinem Wort gelogen; es ist alles wahr, was er gesagt hat. Ich habe ihn erschossen, und ich möchte ein Geständnis ablegen.›»
Ihre offizielle Erklärung lautete so: «Mein Name ist Anna Auster. Am 23. Tag des Januar anno domini 1919 habe ich in der Stadt Kenosha im Bundesstaat Wisconsin Harry Auster erschossen. Von anderen habe ich gehört, es seien drei Schüsse abgegeben worden, aber ich kann mich nicht erinnern, wie viele Schüsse an diesem Tag gefallen sind. Mein Grund für die Erschießung des besagten Harry Auster ist der, dass besagter Harry Auster mich beschimpft hat. Ich bin wie von Sinnen gewesen, als ich besagten Harry Auster erschossen habe. Ich hatte nie vorgehabt, besagten Harry Auster zu erschießen, bis zu dem Augenblick, da ich ihn erschossen habe. Ich glaube, dies ist die Waffe, mit der ich besagten Harry Auster erschossen habe. Ich lege dieses Geständnis aus freiem Willen und ohne äußeren Zwang ab.»
Der Reporter fährt fort: «Auf dem Tisch vor Mrs. Auster lag der
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