Die Erfindung der Einsamkeit
Putzmachern mit dem Anfertigen von Hüten und Hauben zubrachte; davon, wie das Einwanderermädchen durch diese Arbeit ein paar hundert Dollar zusammenbrachte. Sie erzählte von der Trauung der Frau mit Auster kurz nach ihrem dreiundzwanzigsten Geburtstag und von ihren geschäftlichen Unternehmungen; von ihrem Misserfolg mit einem kleinen Süßwarenladen und ihrer langen Reise nach Lawrence, Kas., wo sie noch einmal von vorn anzufangen versuchten und wo –, ihr erstes Kind, geboren wurde; von der Rückkehr nach New York und dem zweiten geschäftlichen Misserfolg, der mit einem Bankrott endete, und von der anschließenden Flucht Austers nach Kanada. Sie erzählte, dass Mrs. Auster ihrem Mann nach Kanada folgte; dass Auster seine Frau und seine kleinen Kinder verlassen und gesagt hatte, er werde ‹Schluss mit sich machen› [sic]; dass er zu seiner Frau gesagt hatte, er stecke fünfzig Dollar ein, damit das Geld, wenn er tot sei, bei ihm gefunden werde und ihm zu einem anständigen Begräbnis verhülfe … Sie sagte, in Kanada hätten sie unter dem Namen Mr. und Mrs. Harry Ball gelebt …
Eine kleine Lücke in der Geschichte, zu der Mrs. Grossman nichts sagen konnte, wurde von dem ehemaligen Hauptwachtmeister Archie Moore und von Abraham Low, beide aus dem kanadischen Bezirk Peterboro, ergänzt. Diese Männer erzählten vom Fortgang Austers aus Peterboro und dem Kummer seiner Frau. Demnach verließ Auster Peterboro am 14. Juli 1909, und in der folgenden Nacht fand Moore Mrs. Auster, schon betäubt von ausströmendem Gas, in einem Zimmer ihres heruntergekommenen Hauses. Sie und die Kinder lagen auf einer Matratze am Boden, während das Gas aus vier geöffneten Hähnen strömte. Des Weiteren berichtete Moore, dass er in dem Zimmer ein Fläschchen Karbolsäure entdeckt habe und dass Spuren der Säure auf Mrs. Austers Lippen nachgewiesen worden seien. Sie wurde ins Krankenhaus gebracht, wo sie mehrere Tage liegen musste, erklärte der Zeuge. Beide Männer sagten aus, ihrer Meinung nach habe Mrs. Auster zu der Zeit, als sie sich in Kanada das Leben nehmen wollte, ohne jeden Zweifel Anzeichen von geistiger Umnachtung gezeigt.»
Als weitere Zeugen traten die beiden ältesten Kinder auf, die von den häuslichen Problemen der Familie berichteten. Es war viel von Fanny und von ständigen Streitigkeiten die Rede. «Er sagte, Auster habe oft mit Geschirr und Gläsern um sich geworfen, und einmal sei seine Mutter so schwer am Arm verletzt worden, dass ein Arzt gerufen werden musste. Er erklärte, dass sein Vater bei diesen Gelegenheiten seine Mutter mit Flüchen und unanständigen Ausdrücken bedacht habe …»
Eine andere Zeugin aus Chicago sagte aus, sie habe oft gesehen, wie meine Großmutter in Anfällen seelischer Verzweiflung den Kopf an die Wand geschlagen habe. Ein Polizeibeamter aus Kenosha erzählte, einmal habe er gesehen, wie «Mrs. Auster verstört eine Straße entlanggerannt sei. Ihr Haar sei ‹mehr oder weniger› zerzaust gewesen, und sie habe sich sehr ähnlich benommen wie eine Frau, die den Verstand verloren habe.» Ein ebenfalls vorgeladener Arzt behauptete, sie habe an «einer Manie» gelitten.
Die Aussage meiner Großmutter dauerte drei Stunden. «Zwischen unterdrücktem Schluchzen und Tränenausbrüchen erzählte sie die Geschichte ihres Lebens mit Auster bis zu der Zeit des ‹Unfalls› … Das quälende Kreuzverhör überstand sie sehr gut, und sie wiederholte ihre Geschichte dreimal fast ohne Abweichungen.»
In seinem Plädoyer «bat Anwalt Baker mit sehr gefühlvollen Worten um Freispruch für Mrs. Auster. In fast anderthalbstündiger sprachgewaltiger Rede trug er Mrs. Austers Geschichte noch einmal vor … Mehrmals wurde Mrs. Auster von den Ausführungen ihres Anwalts zu Tränen gerührt, und mehrmals schluchzten Frauen im Publikum auf, als der Anwalt das Bild der mühsam sich durchschlagenden Immigrantin malte, die ihre Familie zusammenzuhalten versuchte.»
Der Richter gab den Geschworenen nur zwei Urteile zur Auswahl: des Mordes schuldig oder unschuldig. Sie brauchten keine zwei Stunden für ihre Entscheidung. In den Worten der Bekanntmachung vom 12. April: «Um vier Uhr dreißig des heutigen Nachmittags erklärten die Geschworenen im Prozess gegen Mrs. Auster die Angeklagte für nicht schuldig.»
14. April. «‹So glücklich wie heute bin ich seit siebzehn Jahren nicht mehr gewesen›, sagte Mrs. Auster am Samstagnachmittag, als sie nach Verkündigung des Urteils jedem
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