Die Erfindung der Einsamkeit
ruhig seine Festnahme erwartete …
Auf der Polizeiwache … gab Auster, mit den Nerven völlig am Ende, eine Erklärung für den Mordanschlag ab.
‹Diese Frau›, sagte er, ‹hat meine vier Brüder und meine Mutter getötet. Ich habe zu helfen versucht, aber sie ließ mich nicht.› Und als man ihn in die Zelle führte, schluchzte er: ‹Aber Gott wird meine Rolle übernehmen, das weiß ich.›
In seiner Zelle erklärte Auster, er habe getan, was in seiner Macht stünde, um den Kindern seines toten Bruders zu helfen. Die Tatsache, dass sich das Gericht mit der Begründung, die Witwe habe in dem Fall ebenfalls ihre Rechte, geweigert habe, ihn zum Nachlassverwalter zu ernennen, habe ihn in letzter Zeit sehr gequält … ‹Sie ist keine Witwe›, bemerkte er zu dem Vorfall am heutigen Morgen. ‹Sie ist eine Mörderin und dürfte keine Rechte haben …›
Damit der Fall gründlich untersucht werden kann, wird gegen Auster nicht sofort Anklage erhoben werden. Die Polizei erkennt an, dass der Tod seines Bruders und die darauffolgenden Ereignisse ihn so gequält haben könnten, dass er für seine Tat nicht vollständig verantwortlich zu machen ist. Auster verlieh mehrmals der Hoffnung auf seinen eigenen Tod Ausdruck, und es wird jede Vorkehrung getroffen, ihn daran zu hindern, sich das Leben zu nehmen …»
Tags darauf brachte die Zeitung folgende Zusatzinformation: «Auster hat im Stadtgefängnis eine sehr unruhige Nacht verbracht. Mehrmals wurde er von den Beamten schluchzend in seiner Zelle angetroffen; er machte einen hysterischen Eindruck …
Man räumte zwar ein, dass Mrs. Auster infolge des Schreckens über den Anschlag auf ihr Leben am Freitag ‹nervlich sehr angegriffen› sei, doch wurde festgestellt, dass sie in der Lage sein werde, am Montagabend zur Prozesseröffnung vor Gericht zu erscheinen.»
Nach drei Tagen schloss der Bezirksstaatsanwalt sein Plädoyer ab. Er führte aus, der Mord sei vorsätzlich geplant gewesen, wobei er sich vornehmlich auf die Aussage einer gewissen Mrs. Mathews stützte, einer Angestellten in Millers Lebensmittelladen, die behauptete, dass Mrs. Auster am Tattag dreimal in den Laden gekommen sei, um das Telefon zu benutzen. Einmal, so die Zeugin, habe Mrs. Auster ihren Mann angerufen und ihn gebeten, nach Hause zu kommen und eine Lampe zu reparieren. Sie sagte, Auster habe versprochen, um sechs Uhr zu kommen.»
Doch selbst wenn sie ihn nach Hause gebeten haben sollte, bedeutet das noch nicht, dass sie vorhatte, ihn nach seinem Eintreffen zu töten.
Aber das ändert ohnehin nichts mehr. Wie auch immer die Tatsachen ausgesehen haben mögen, der Strafverteidiger verdrehte alles geschickt zu seinem Vorteil. Seine Strategie ging dahin, an zwei Fronten überwältigende Beweise zu liefern: Zum einen wollte er die Untreue meines Großvaters nachweisen, zum anderen auf die seit langem bestehende geistige Instabilität meiner Großmutter abstellen – beides zusammen sollte dann auf Tötung aus Notwehr oder Tötung «in unzurechnungsfähigem Zustand» hinauslaufen. Beides würde seinen Zweck tun.
Anwalt Bakers einleitende Bemerkungen waren darauf berechnet, den Geschworenen jede mögliche Regung von Mitgefühl für seine Mandantin zu entlocken. «Er erzählte, wie Mrs. Auster sich mit ihrem Mann abgeplagt hatte, um in Kenosha ein glückliches Heim einzurichten, und wie ihnen dies nach jahrelangen Entbehrungen gelungen sei … ‹Und nach all diesen gemeinsamen Mühen, sich dieses Heim einzurichten›, fuhr Anwalt Baker fort, ‹ist jene Sirene aus der Stadt aufgetaucht, und Anna Auster wurde beiseitegeworfen wie ein alter Lumpen. Anstatt für die Ernährung seiner Familie zu sorgen, unterhielt ihr Mann Fanny Koplan in einer Wohnung in Chicago. Das Geld, das anzuhäufen sie mitgeholfen hatte, wurde für eine schönere Frau verschwendet – wen wundert es nach solcher Kränkung noch, dass ihr Verstand zerrüttet war und sie vorübergehend die Kontrolle über sich verlor?›»
Erste Zeugin der Verteidigung war Mrs. Elizabeth Grossman, die einzige Schwester meiner Großmutter; sie lebte auf einer Farm bei Brunswick, New Jersey. «Sie war eine ausgezeichnete Zeugin. Mit schlichten Worten erzählte sie Mrs. Austers ganze Lebensgeschichte; von ihrer Geburt in Österreich; vom Tod ihrer Mutter, als Mrs. Auster gerade sechs Jahre alt war; von der Reise in dieses Land, die sie acht Jahre später mit ihrer Schwester antrat; von langen Stunden, die sie bei New Yorker
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