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Die Erfindung der Einsamkeit

Die Erfindung der Einsamkeit

Titel: Die Erfindung der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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in einer Ecke des Schlafzimmers, dreckiges Geschirr in der Spüle. Auf der Couch liegend, rauchte er eine Zigarette nach der anderen und sah sich im Fernsehen alte Filme an oder las zweitklassige Kriminalromane. Er machte sich nicht die Mühe, irgendeinen seiner Freunde zu erreichen. Die einzige Person, mit der er telefonierte – ein Mädchen, das er mit achtzehn in Paris kennengelernt hatte –, war nach Colorado umgezogen.
    Eines Abends machte er sich ohne besonderen Grund auf den Weg, streifte durch die unbelebte Gegend der West Fifties und trat schließlich in eine Oben-ohne-Bar. Er setzte sich an einen Tisch und trank ein Bier, und plötzlich saß eine aufreizend nackte junge Frau neben ihm. Sie rückte näher und begann all die schlüpfrigen Dinge zu beschreiben, die sie mit ihm anstellen würde, wenn er ihr Geld gäbe und mit ins «Hinterzimmer» käme. Sie hatte eine so offene, zugleich lustige und sachliche Art, dass er am Ende auf ihren Vorschlag einging. Sie verständigten sich darauf, dass sie ihm den Penis lutschen sollte, denn dafür behauptete sie ein spezielles Talent zu haben. Und in der Tat stürzte sie sich mit einer Begeisterung in diese Aufgabe, die ihn ziemlich erstaunte. Als er wenige Augenblicke später einen langen pulsierenden Samenstrom in ihren Mund entlud, hatte er, genau in dieser Sekunde, eine Vision, die danach immer weiter in ihm fortstrahlte: dass jede Ejakulation etliche Milliarden Samenzellen enthält – also etwa ebenso viel, wie es Menschen auf der Erde gibt –, was bedeutet, dass jeder Mann das Potential einer ganzen Welt in sich birgt. Aus dem, wäre dies möglich, die ganze Bandbreite der Möglichkeiten erstehen könnte: eine Brut von Idioten und Genies, von Schönen und Missgestalteten, von Heiligen, Katatonikern, Dieben, Börsenmaklern und Seiltänzern. Demnach ist jeder Mann die ganze Welt, denn er trägt die Gene einer Erinnerung an die ganze Menschheit in sich. Oder in Leibniz’ Worten: «Jede lebendige Substanz ist ein fortwährender lebendiger Spiegel der Welt.» Denn wir sind ja in der Tat aus demselben Stoff, der mit der ersten Explosion des ersten Funkens in der unendlichen Leere des Raums ins Dasein getreten ist. Jedenfalls sagte er sich dies in dem Augenblick, da sein Penis in den Mund jener nackten Frau explodierte, deren Namen er nun längst vergessen hat. Er dachte: die unteilbare Monade. Und dann, als bekäme er es jetzt endlich zu fassen, dachte er an die listige, mikroskopisch große Zelle, die sich vor drei Jahren durch den Leib seiner Frau gekämpft hatte, um sein Sohn zu werden.
    Ansonsten nichts. Er verging. Er schmachtete in der Glut des Sommers. Wie ein neuer Oblomow auf seiner Couch zusammengerollt, bewegte er sich nur noch, wenn es unbedingt sein musste.
    In der Wohnung seines Großvaters stand ein Kabelfernseher; A. hatte gar nicht gewusst, dass es so viele Kanäle gab. Wann immer er den Kasten anstellte, schien irgendwo ein Baseballspiel zu laufen. Er konnte nicht nur die New Yorker Yankees und Mets verfolgen, sondern auch die Red Sox aus Boston, die Phillies aus Philadelphia und die Braves aus Atlanta. Ganz zu schweigen von den kleinen Extras, die im Lauf des Nachmittags hin und wieder gezeigt wurden: etwa die Spiele der japanischen Oberligen (wie ihn das ständige Trommelschlagen während des Spiels faszinierte) oder, noch seltsamer, die Meisterschaftskämpfe der Little League von Long Island. Wenn er sich in diese Spiele vertiefte, fühlte er seinen Geist gleichsam nach der reinen Form streben. Trotz des Hin und Hers auf dem Spielfeld stellte Baseball sich ihm als ein Abbild von etwas dar, was sich nicht bewegte, und daher als ein Ort, an dem sein Geist sich ausruhen konnte, eine sichere Zuflucht vor den Unbeständigkeiten der Welt.
    Er hatte dieses Spiel während seiner ganzen Kindheit gespielt. Von den ersten schlammigen Tagen Anfang März bis zu den letzten eisigen Nachmittagen Ende Oktober. Er hatte gut und mit schier besessener Hingabe gespielt. Es hatte ihm nicht nur ein Gefühl für die eigenen Möglichkeiten gegeben und ihn davon überzeugt, dass er in den Augen der anderen kein ganz hoffnungsloser Fall sein konnte, sondern es hatte ihn auch aus der Einsamkeit seiner frühen Kindheit befreit. Es hatte ihn in die Welt der anderen eingeführt, zugleich aber war es auch etwas, das er ganz für sich allein haben konnte. Baseball bot reichliche Möglichkeiten zum Träumen. Er gab sich unablässigen Phantasien hin, projizierte sich in

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