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Die Erfindung der Einsamkeit

Die Erfindung der Einsamkeit

Titel: Die Erfindung der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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ihm endlich aufging, was da geschehen war, lächelte er zum ersten Mal seit Wochen. Plötzlich traten ihm Tränen in die Augen. Er nahm die Hand der Frau und sagte zu A., als spräche er (aber leise, so überaus leise) die ganze Welt an: «Shirley ist mein Schatz. Shirley ist mir die Liebste.»

    Ende Juli beschloss A., ein Wochenende außerhalb der Stadt zu verbringen. Er wollte seinen Sohn sehen, und er brauchte ein wenig Urlaub von der Hitze und dem Krankenhaus. Seine Frau kam nach New York, den Jungen hatte sie bei ihren Eltern gelassen. Was sie an diesem Tag in der Stadt gemacht haben, weiß er nicht, aber am späten Nachmittag waren sie bereits an dem Strand in Connecticut, wo der Junge den Tag mit seinen Großeltern verbracht hatte. A. entdeckte seinen Sohn auf einer Schaukel, und die ersten Worte aus dem Mund des Jungen waren (nachdem die Großmutter den ganzen Nachmittag lang mit ihm geübt hatte) von erstaunlicher Klarheit. «Es freut mich sehr, dich zu sehen, Daddy», sagte er.
    Zugleich aber kam die Stimme A. recht fremd vor. Der Junge schien außer Atem, und er sprach die Silben der Worte einzeln und abgehackt. A. war sicher, dass irgendetwas nicht stimmte. Er bestand darauf, dass sie alle den Strand verließen und zum Haus zurückfuhren. Der Junge war guter Dinge, aber diese seltsame, fast mechanische Stimme sprach weiter aus ihm heraus, als wäre er die Puppe eines Bauchredners. Sein Atem ging äußerst schnell: Die Brust hob und senkte sich wie bei einem kleinen Vogel. Nach einer Stunde gingen A. und seine Frau eine Liste der örtlichen Kinderärzte durch und versuchten einen zu erreichen (es war Freitagabend zur Essenszeit). Beim fünften oder sechsten Versuch erwischten sie eine junge Ärztin, die erst vor kurzem eine Praxis im Ort übernommen hatte. Durch einen glücklichen Zufall war sie um diese Zeit noch in ihrem Büro, und sie sagte, sie sollten gleich vorbeikommen. Ob es an der Unerfahrenheit der jungen Ärztin lag oder ob sie einfach nur nervös war – jedenfalls gerieten A. und seine Frau bei ihrer Untersuchung des Jungen in Panik. Sie setzte den Jungen auf einen Tisch, horchte ihm die Brust ab, ermittelte seine Atemfrequenz, beobachtete seine weitgeöffneten Nasenlöcher und seine leicht bläuliche Gesichtsfarbe. Dann ein wildes Herumgerenne in der Praxis und der Versuch, einen komplizierten Beatmungsapparat in Gang zu setzen: ein Inhalationsgerät mit Kapuze, das an eine Kamera aus dem neunzehnten Jahrhundert erinnerte. Aber der Junge zog immer wieder den Kopf aus der Kapuze, der zischende kalte Dampf machte ihm Angst. Dann versuchte es die Ärztin mit einer Adrenalinspritze. «Erst mal eine», sagte sie, «und wenn die nicht wirkt, geben wir ihm noch eine.» Sie wartete ein paar Minuten, berechnete noch einmal die Atemfrequenz und gab ihm dann die zweite Spritze. Immer noch keine Wirkung. «Also dann», sagte sie, «werden wir ihn ins Krankenhaus bringen müssen.» Sie erledigte den notwendigen Anruf, und unter wildem Gefuchtel, mit dem sie die ganze Energie in ihrem kleinen Körper zu sammeln schien, erklärte sie dann A. und seiner Frau, dass sie ihr zum Krankenhaus folgen sollten, wohin sie zu gehen und was sie zu tun hätten, und führte sie nach draußen, wo sie mit ihren jeweiligen Wagen losfuhren. Ihre Diagnose lautete auf Lungenentzündung mit asthmatischen Komplikationen – und dies stellte sich nach Röntgenaufnahmen und ausgeklügelteren Tests im Krankenhaus als zutreffend heraus.
    Der Junge kam in ein besonderes Zimmer der Kinderabteilung, Krankenschwestern stupsten und knufften den Schreienden und hielten ihn fest, als man ihm Arzneien in den Hals schüttete; man hängte ihn an den Tropf, legte ihn in ein Bettchen und überdeckte dies dann mit einem durchsichtigen Plastikzelt – wohinein durch ein Ventil in der Wand ein Nebel kalten Sauerstoffs gepumpt wurde. Der Junge blieb drei Tage und drei Nächte lang in diesem Zelt. Seine Eltern durften bei ihm bleiben; sie wechselten sich am Bett des Jungen ab, Kopf und Arme unter dem Zelt, und lasen ihm Bücher vor, erzählten ihm Geschichten, spielten mit ihm, während der andere in einem kleinen, für Erwachsene bestimmten Lesezimmer saß und die Gesichter der anderen Eltern beobachtete, deren Kinder im Krankenhaus waren: Keiner dieser Fremden wagte mit den anderen zu reden, da sie alle nur eins im Kopf hatten, und davon zu sprechen hätte es nur noch schlimmer gemacht.
    Das Ganze war sehr anstrengend für die Eltern des

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